Straßen-Advent? 2020 ist das nur Weihnachtsmarkt-Geschichte Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Corona-Pandemie zwingt die Menschen in die Distanz – das verändert auch unser Empfinden für die Vorweihnachtszeit, skizziert „Stuttgarter Nachrichten“-Titelautor Nikolai B. Forstbauer.

Stuttgart - Darauf kann man sich freuen. Jedes Jahr: Das Wiedersehen mit Freunden und Weggefährten, auf das Umarmen und Schulterklopfen. Die Adventswochen erlauben es, provozieren eine eigene Verbundenheit. Eigentlich. Doch mit der Corona-Pandemie kann es keine Weihnachtsmärkte geben, keinen Budenzauber, den man schon mittags umkreisen kann.

Stadtdekan Hermes: Distanz überwinden

Wie wird sich das auswirken? „Gut wäre es – und eine schöne Aufgabe gerade für Kirchen und Religionsgemeinschaften –, sagt Christian Hermes, Stadtdekan der katholischen Kirche, „wenn der irreführende Begriff und das Postulat von der ,sozialen Distanzierung’ etwas korrigiert werden könnte.“

Mehr Aufmerksamkeit wagen

Hermes erklärt: „Es geht ja um physische Distanzierung, aber dabei, weil wir alle merken, wie viel es mit uns macht, wenn wir Menschen nicht mehr körperlich nahe sein können (und wenn es nur der Händedruck ist), wäre es um so wichtiger, die Kontakte auf anderem Weg zu intensivieren, ob medial, über Telefon, das Schwätzchen mit Abstand. Also: physische Distanz, aber mehr soziale Aufmerksamkeit wäre gut.“

Historiker Sonnabend erinnert an Rom

Der Althistoriker Holger Sonnabend, Professor an der Universität Stuttgart, erinnert an den Beginn aller auch heutigen Feierlichkeiten: „Die Römer“, sagt Sonnabend, „kannten die Adventus als eine Zeremonie zu Ehren des Kaisers, wenn er feierlich sein Amt antrat oder wenn er im Triumph von einem erfolgreichen Feldzug in die Tibermetropole zurückkehrte.“ Und er ergänzt: „Dabei ist, anders als beim christlichen Advent, die Ankunft und nicht die Wartezeit das Entscheidende“

Gefeiert wurde immer

Noch weiter zurück reichen die Saturnalien – ein von den Griechen inspiriertes Fest. „Es wurde“, sagt Sonnabend, immer am 17. Dezember gefeiert – bei Dauerpartylaune und dem zeitweiligen Vertauschen der sozialen Rollen: die Sklaven wurden für einen Tag zu Herren, die Herren umgekehrt zu Sklaven.“ Und Sonnabend erinnert: „Gefeiert wurden die Saturnalien immer, egal, was sonst drumherum passierte.“

Ex-Dekan Ehrlich für Licht-Sensibilität

„Drumherum“ ist in diesem Jahr nur eines – und hat die Menschen doch fest im Griff: die Corona-Pandemie. Der frühere evangelische Stadtdekan Hans-Peter Ehrlich formuliert: „Das macht insofern etwas mit mir, als ich nicht von einer Welle getragen werde.“ Einer Welle der Begegnung, der Klänge, der Gerüche, der Lichter. A propos: Vielleicht gerade weil mancher Glanz in den Innenstädten ausbleiben wird, ist Ehrlich sicher: „Das Thema Licht wird von den Kirchen noch einmal neu wahrgenommen werden.“

Neu hören

Und das sonst so zentrale Thema Musik als Wegeführung durch die Adventszeit? Ehrlich ist zuversichtlich: „Da wird sich viel tun. Rainer Homburg etwa stellt als Leiter der Hymnus-Chorknaben den Chor völlig neu auf.“ Auch darum geht es: Neu zu hören. .

Zu hohe Erwartungen an Weihnachten?

Die Adventswochen dienen in Regeljahren immer auch dazu, vorab Druck aus den Weihnachtstagen selbst zu nehmen. Ohne Vorab-Budenzauber, ohne Straßen-Advent, sieht Hans-Peter Ehrlich eine Gefahr: „Die Erwartungen in Richtung Weihnachten können sich ins Unermessliche steigern“.

Die Sorge nicht übertreiben

Der Katholik Christian Hermes sieht „insgesamt ein gesellschaftlich-kulturelles Experiment: Was macht diese Zeit mit uns, wenn vieles vom Gewohnten ausfallen muss und Sorgen drücken?“. Und er warnt: „Wir sollten in unserer sehr komfortablen Gesellschaft nicht vergessen, dass unzählige Menschen in weniger privilegierten Ländern Weihnachten auch sonst immer unter Bedingungen feiern, die noch weitaus mühsamer sind.“

Stichwort Advent

Geschichte
Das erste schriftliche Zeugnis für die Adventszeit findet sich bei Bischof Perpetuus von Tours (nach 490 nach Christus). Er fordert, dass in der Zeit zwischen dem 11. November und dem Weihnachtsfest dreimal in der Woche gefastet wird und deutet an, dass es früher ein achtwöchiges Fasten zwischen dem 11. November und dem Epiphaniasfest (6. Januar) gab. Warum der 11. November? Perpetuus, der Nachfolger des Heiligen Martin von Tours, legte dessen Gedenktag auf den 11. November, dem Tag von Martins Bestattung.

Begrifflichkeit Advent stammt von dem lateinischen Wort „adventus“ – „Ankunft“. In der Adventszeit warten die Christen auf die Ankunft Gottes auf Erden. Weihnachten bringt diese Ankunft – mit der Geburt des Kindes Jesus.