Der berühmte Trevi-Brunnen in Rom in der Abendstimmung. Foto: AP

Almut Siefert, seit einem Jahr Italien-Korrespondentin der Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten, berichtete in ihrem Vortrag im großen Rathaussaal vom Wiederaufbau Amatrices.

Fellbach - Das verheerende Erdbeben in der kleinen Stadt Amatrice hat sich am Donnerstag dieser Woche gejährt – und vor wenigen Tagen fielen in zwei Ortschaften auf der Insel Ischia wegen eines nahen Seebebens Häuser in sich zusammen – Italien steht auf fragilem Boden.

Almut Siefert, seit einem Jahr Italien-Korrespondentin der Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten, berichtete in ihrem Vortrag am Mittwochabend im großen Rathaussaal vom Wiederaufbau Amatrices, aber auch von den Erschütterungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die in diesem Land scheinbar zur Tagesordnung gehören.

Almut Siefert. Foto: Brigitte Hess

In ihrer Begrüßung wies Kulturamtsleiterin Christa Linsenmaier-Wolf auf die Schönheiten des Stiefels Europas hin: „Ein Drittel aller weltweit registrierten Kulturgüter befinden sich in Italien – 4,7 Millionen Objekte an 600 000 Orten.“ Italien sei ein „begehbares Freilichtmuseum“, sagte sie, und Almut Siefert, die in Rom lebt, konnte die traumhafte Kulisse nur bestätigen: „Ich habe den schönsten Arbeitsplatz der Welt.“

Aber auch dort seien die Erschütterungen des Erdbebens vom 24. August 2016 zu spüren gewesen, und kurz darauf habe sie den Ort besucht, in dem in wenigen Sekunden 28 000 Menschen obdachlos wurden. Ein Jahr später war sie wieder dort – in dieser Woche war ihr Bericht auf Seite 3 unserer Mantelausgabe zu lesen.

Die Jugendarbeitslosigkeit ist mit 35,4 Prozent verheerend

„Inzwischen sind 195 komplett möblierte kleine Reihenhäuser errichtet worden, bis September sollen es 480 sein“, sagte sie bei ihrem Vortrag, der im Rahmen des Europäischen Kultursommers in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Unteres Remstal stattfand. Bis Amatrice wieder aufgebaut sei, rechneten die Menschen dort aber mit „mindestens zehn Jahren“.

Ähnlich zerbrechlich ist die Wirtschaft Italiens. Zehn Jahre nach der Finanzkrise sei das Pro-Kopf-Einkommen 2017 im Vergleich zu 2007 um zehn Prozent auf rund 26 000 Euro gesunken, die Arbeitslosenquote dagegen von 6,2 auf 11,3 Prozent gestiegen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist mit 35,4 Prozent verheerend. Die Zahl der Armen hat sich auf 4,7 Millionen verdoppelt, und die Staatsschulden – ähnlich wie in Deutschland knapp 2300 Milliarden Euro – betragen in Italien allerdings 133 Prozent des Bruttosozialprodukts (Deutschland: 67 Prozent).

Viele könnten ihre Kredite nicht mehr bedienen

Für einen Artikel – erschienen in unserer Zeitung – habe sie eine Familie in Apulien besucht, erzählte Almut Siefert. Der Vater, ein IT-Ingenieur, verdiene 1400 Euro im Monat – etwa die Hälfte dessen, was er vor seiner kurzen Arbeitslosigkeit als Gehalt bekommen hat. Um ihre Lebenshaltungskosten zu stemmen, müsste inzwischen ein Viertel der Italiener auf Erspartes zurückgreifen, viele könnten ihre Kredite nicht mehr bedienen.

Regierungschef Paolo Gentiloni führe die vierte nicht gewählte Regierung in Folge. Zur politischen Bewegung „CinqueStelle“ kamen etliche Fragen von den insgesamt rund 80 Zuhörern. Bei den nächsten Wahlen werde eine Pattsituation zwischen den Demokraten und der „Cinque Stelle“ erwartet, es gäbe wohl eine große Koalition. „Italien hatte in den vergangenen 70 Jahren 63 Regierungen – Deutschland im Vergleich dazu 23“, sagte Almut Siefert, die in Frankfurt aufwuchs und Politikwissenschaften studierte. Nach einem Volontariat bei den Stuttgarter Nachrichten war sie dort zunächst als Politik-Redakteurin für Themen rund um die EU zuständig.

Trotz allem herrsche in Italien ein großes Gemeinschaftsgefühl

Die Probleme der Migration belasten das Land zusätzlich, sagte Almut Siefert. Der Großteil der im vergangenen Jahr 123 600 Asylbewerber stamme aus Nigeria. Trotz allem herrsche in Italien ein großes Gemeinschaftsgefühl, sagte die Korrespondentin und zitierte den sich unermüdlich einsetzenden Bürgermeister von Amatrice: „Im Katastrophenfall sind die Italiener unschlagbar, aber danach zermürben unsere Strukturen alles.“