Erziehungswissenschaftler Thorsten Bohl (rechts) mit dem Vorsitzenden des Filderstädter Gesamtelternbeirats, André Brückner. Foto: Jens Noll

Erziehungswissenschafter Thorsten Bohl hält das dreigliedrige Modell in Baden-Württemberg nicht für zukunftsfähig. Der Uni-Professor spricht sich in Bonlanden für die beiden Säulen G 8 und Gemeinschaftsschule aus.

Bonlanden - Wird in gegliederten Schulsystemen mehr gelernt oder in inte-grierten Schulsystemen mit Gemeinschaftsschulen? Laut dem Erziehungswissensschaftler Thorsten Bohl ist das „eine der harten Fragen in Baden-Württemberg“. Und eine komplexe Forschungsfrage obendrein. „Da gibt es keine einfache Antwort“, sagte der Professor von der Universität Tübingen am Donnerstagabend in der Uhlberghalle.

Auf Einladung des Gesamtelternbeirats (GEB) referierte Bohl dort über die Gemeinschaftsschule (GMS) und das Schulsystem im Land. Wie berichtet, haben die Elternvertreter der Schulen und der Kindergärten eine Befragung in Filderstadt vorgenommen. Angesichts des Ergebnisses der Umfrage sagte der GEB-Vorsitzende André Brückner eingangs vor 165 Zuhörern: „Wir wissen fundiert, dass die Eltern in Filderstadt zum jetzigen Zeitpunkt eine Gemeinschaftsschule wollen.“ Laut Brückner will der GEB aber nicht, dass die neue Schulart das „erfolgreiche dreigliedrige Schulsystem“ ersetzt.

Drei große Herausforderungen für das Land

Dieser Aussage hielt der Wissenschaftler Thorsten Bohl jedoch seine Einschätzungen entgegen. Zu Beginn seines anspruchsvollen Vortrags stellte er einige Forschungsergebnisse vor. Bohl sprach über die „Grundproblematik der menschlichen Entwicklung“, dass man nach Klasse 4 noch nicht sagen könne, wie sich das Kind weiterentwickeln wird. Lernfähigkeit und Intelligenz würden von der weiterführenden Schule geprägt, sagte er.

Allerdings gibt es laut Bohl keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass in einem Schulsystem mit GMS mehr gelernt wird als in einem mehrgliedrigen Schulsystem. Die einzelne Schule sei für die Qualität entscheidend. Man könne auch nicht beweisen, dass ein bestimmtes Schulsystem in Deutschland zu mehr oder weniger Bildungsungleichheit führe, sagte der Referent.

Dann kam er zum Kern seines Vortrags: „Baden-Württemberg hat drei fundamentale Herausforderungen zu bestehen.“ Erstens schreiben die Vereinten Nationen eine Integration von Kindern mit Behinderung vor. Zweitens führt die demografische Entwicklung zu sinkenden Schülerzahlen. Und drittens haben sich die Übergangsquoten verändert. Die Tendenz, dass immer weniger Schüler auf die Hauptschule wechseln, sei schon seit zehn Jahren bekannt, sagte Bohl. „Die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung hat den Effekt nur beschleunigt.“

Nach Aussage von Bohl ist das dreigliedrige Schulsystem jahrelang erfolgreich gewesen. Aber: „Angesichts der drei Herausforderungen ist es nicht mehr das geeignete System für die Zukunft.“ Für zukunftsfähig hält er hingegen ein zweigliedriges Modell, bestehend aus einem achtjährigen Gymnasium und einer GMS. An dieser würde man einen Werkrealschul- und einen Realschulabschluss anbieten und als Alternative einen Bildungsgang bis zum Abitur.

Kritik an voreiligen Handlungen

Der Forscher sieht darin ein gutes Konzept zum Umgang mit der Heterogenität, also dem gemeinsamen Unterrichten von leistungsschwächeren und leistungsstärkeren Schülern. „Wenn wir Heterogenität haben, dann müssen wir auch für die Leistungsstarken etwas bieten“, forderte Bohl. Ein Zuhörer fragte, ob in solchen gemischten Lerngruppen überhaupt Diskussionsunterricht möglich sei. Bohls Antwort: Einem einzelnen Lehrer seien da Grenzen gesetzt. Man benötige Konzeptionen zum Umgang mit der Heterogenität.

Der Referent hat für die Landesregierung eine Expertise verfasst. „Hat man Ihnen da zugehört?“, fragte eine Zuhörerin spitz. Bohl hatte nämlich auch Probleme aufgezählt, die es derzeit bei der Einrichtung der neuen Schulart gebe. So komme die überwiegende Mehrheit von Anträgen, GMS zu werden, von Werkrealschulen. Viele Schulen seien voreilig zur GMS gemacht worden und eigentlich zu klein, um langfristig bestehen zu können, sagte er.

Jens Fischer, Vize-Vorsitzender des GEB, fragte nach positiven Beispielen für ein Schulsystem aus anderen Bundesländern. „Es gibt keine Wirkungsstudie, die in Deutschland nachweist, dass ein gutes Abschneiden bei der Pisa-Studie mit dem Schulsystem zusammenhängt“, sagte Bohl.