Die EU ist mehr als Bürokratie und Vorschriften. Schnell vergessen die Bürger, dass die Union ihnen im alltäglichen Leben sehr viele Erleichterungen verschafft.
Über die die EU zu schimpfen ist einfach. Es ist geradezu zum Volkssport geworden, sich über die „abgehobenen Politiker“ lächerlich zu machen, von denen offenbar kein normaler Bürger wirklich weiß, was sie im „Raumschiff Brüssel“ eigentlich machen. Nun stehen die Europawahlen am 9. Juni ins Haus und in Brüssel wird immer wieder betont, welche Vorteile die Europäische Union den Menschen bringt. Das sind sehr viele, doch einiges ist inzwischen so alltäglich geworden, dass die Bürger vergessen haben, dass das Leben ohne die entsprechenden EU-Regelungen in manchen Bereichen doch etwas mühsamer war.
Einführung des Euro
Grenzenloses Reisen
Jeder hat sich an das grenzenlose Reisen in der EU gewöhnt. Während der Coronapandemie wurden die Menschen kurz daran erinnert, was es bedeutet, vor Schlagbäumen zu stehen. Und natürlich haben im Urlaub alle Touristen Euro-Münzen im Portemonnaie. Das ständige Umrechnen von D-Mark in italienische Lire oder französische Francs war zwar irgendwie exotisch, aber doch auch ziemlich lästig. Im Grunde war die neue Währung schon ab Januar 1999 anerkanntes Zahlungsmittel, doch während der ersten drei Jahre wurde der Euro nur von Banken zur Verrechnung und elektronische Zahlungen verwendet. Die für die Verbraucher wichtigen Münzen und Banknoten wurden am 1. Januar 2002 in zwölf Ländern eingeführt. Es war die größte Bargeldumstellung der Geschichte.
Telefonieren ohne Bezahl-Fallen
Wer am Urlaubsort angekommen ist, profitiert aber nicht nur von der europäischen Einheitswährung. Denn die Zeiten, in denen Reisende mit saftigen Telefonrechnungen konfrontiert wurden, weil sie im EU-Ausland telefoniert oder Nachrichten geschrieben haben, gehören der Vergangenheit an. Sogenannte Roaming-Gebühren werden von den Telefonfirmen für die Nutzung ausländischer Mobilfunknetze erhoben. Für Mobilfunkgespräche innerhalb der EU sowie Island, Liechtenstein und Norwegen wurden sie 2007 zunächst begrenzt und dann schrittweise gesenkt. Zum 15. Juni 2017 schaffte die EU sie dann vollständig ab. Wer aus dem Heimatland ins EU-Ausland telefoniert oder schreibt, profitiert laut EU-Recht zumindest von einer Deckelung: Telefonate aus Deutschland kosten dann egal ob vom Festnetz oder vom Handy maximal 19 Cent pro Minute und eine SMS höchstens sechs Cent.
Das Ende des Kabelsalats
Zur Vergangenheit gehört bald auch die verzweifelte Suche nach dem passenden Ladekabel für das Smartphone. Ab dem kommenden Jahr müssen Smartphones und andere technische Geräte wie Tablets, E-Book-Readern oder Digitalkameras über einen einheitlichen Ladeanschluss aufgeladen werden können. Ab 2026 gilt das dann auch für Laptops. Das sieht eine EU-Richtlinie vor, die von Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss. Als neuer Standard gilt zunächst die Schnittstelle USB-C.
Bei den meisten Mobiltelefonen und technischen Geräten ist USB-C bereits Standard. Der US-Konzern Apple wehrte sich jedoch für seine iPhones lange dagegen und erklärte im vergangenen Jahr, die einheitlichen Kabel bremsten potenzielle Innovationen. Die Macht des europäischen Marktes war dann aber doch zu groß und im Herbst vergangenen Jahres begann der Konzern damit, seine neuen iPhones mit einem USB-C-Anschluss auszuliefern.
Regeln für das Internet
Weniger offensichtlich für die Bürger sind die Gesetze, die die EU in diesen Wochen zur Regulierung des Internets erlassen hat. Galten dort bisher die Regeln des Wilden Westens, soll nun zum Wohle der Verbraucher die Marktmacht der großen Digitalkonzerne und Plattformen begrenzt werden. Im Gesetz über digitale Dienste ist etwa geregelt, dass Plattformen Falschinformationen und illegale Inhalte schneller löschen müssen. Damit soll auch der Hass und die Hetze in den sozialen Medien begrenzt werden. Zudem müssen die Digitalkonzerne die Algorithmen hinter personalisierter Werbung offenlegen und in einer Datenbank hinterlegen, wer Werbeanzeigen finanziert. Das Gesetz über digitale Märkte umfasst strenge Regeln für große Digitalkonzerne wie Alphabet, Meta und Amazon. Sie dürfen etwa im Ranking nicht mehr eigene Angebote bevorzugen und müssen Produkte der Konkurrenz leichter zugänglich machen.
Die EU als grenzenloser Handelsplatz
Die EU ist ein riesiger Handelsplatz. Von den offenen Grenzen, der gemeinsamen Währung und dem einheitlichen Rechtsrahmen profitiert ein Exportland wie Deutschland enorm. Einer der großen Gewinner ist Baden-Württemberg. Im vergangenen Jahr gingen laut Wirtschaftsministerium 47 Prozent der Ausfuhren baden-württembergischer Güter in die EU - mit einem Gesamtvolumen von 117 Milliarden Euro. Gehandelt werden vor allem Maschinen, Kraftwagen und Kraftwagenteile sowie pharmazeutische Erzeugnisse. Der Anteil der Importe aus EU-Ländern lag mit 127 Milliarden Euro sogar bei knapp 56 Prozent.
Milliardensubventionen aus Brüssel
Deutschland zahlt mehr Geld an die EU, als das Land zurückbekommt, profitiert im Gegenzug aber auch von den Brüsseler Subventionen. Im Jahr 2022 gehörte Deutschland zu den Top-Agrarsubventionsempfängern in der Europäischen Union. Laut Auswertungen des EU-Budget-Dashboards erhielt die Bundesrepublik rund 6,3 Milliarden Euro Zuschüsse für den landwirtschaftlichen Sektor. Bisher geht die Unterstützung vor allem an entwicklungsschwache EU-Regionen, was vor allem die Regierung in Baden-Württemberg allerdings ändern will. Unter anderem mit Blick auf den Wandel der Automobilindustrie pocht Stuttgart darauf, dass Baden-Württemberg mehr EU-Beihilfen bekommt. Man mache sich dafür stark, „dass industriestarke Transformationsregionen wie Baden-Württemberg als wirtschaftliche Herzkammern bei Förderungen stärker berücksichtigt werden“, betont der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei seinen Besuchen in Brüssel immer wieder.
Grundlage für Frieden und Freiheit
Ebenfalls bei vielen Menschen in Vergessenheit geraten ist einer der Ursprungsgedanken der Union. Damals sollte nicht nur der wirtschaftliche Aufschwung nach den verheerenden Zerstörungen während des Zweiten Weltkrieges gefördert werden. Die Verantwortlichen hatten angesichts des Grauens erkannt, dass Frieden und Freiheit nur gesichert werden können, wenn die Staaten zusammenstehen und auch politisch und gesellschaftlich eng miteinander verbunden sind. Jahrzehnten der Ruhe auf dem Kontinent haben diesen fundamentalen Wert vor allem in der jungen Generation in Vergessenheit geraten lassen. Angesichts des Krieges in der Ukraine und der Bedrohung der Demokratie in Europa entfaltet diese Idee der Gründerväter plötzlich wieder ihren grundsätzlichen Charme.