Besuch bei der Truppe: Die Verteidigungsministerin war im August im Camp Stefan der Bundeswehr im irakischen Erbil. Foto: dpa/Michael Kappeler

Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer will eine internationale Schutzzone errichten. Der Vorstoß löst viele Fragen im In- und Ausland aus etwa zur Rolle der Bundeswehr, zu den Absprachen innerhalb der Koalition oder zu dem Zeitpunkt der Initiative.

Berlin - Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat der Diskussion über eine Stabilisierung Nordsyriens eine überraschende Wendung gegeben: Sie plädiert für einen internationalen Einsatz zur Einrichtung einer Schutzzone. Deutschland und die Bundeswehr sieht sie dabei in einer führenden Rolle. Es gehe darum, nicht nur Zaungast zu sein, sagte die CDU-Vorsitzende. Doch mit ihrer Initiative wirft sie viele Fragen auf – national wie international.

Wie ist die Lage in Nordsyrien?

Nachdem der amerikanische Präsident Donald Trump den Abzug der US-Truppen aus dem Krisengebiet angekündigt hatte, startete die Türkei am 9. Oktober in dem Nachbarland eine Militäroffensive gegen die Kurdenmiliz YPG. Die Regierung in Ankara betrachtet diese als Terrororganisation. Berichten zufolge sind inzwischen Hunderttausende Menschen auf der Flucht. Da die Kurden in Nordsyrien Verbündete der USA im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat waren, geriet Trump wegen seiner Entscheidung zum Abzug innenpolitisch unter Druck. Die USA handelten daraufhin mit der Türkei am vergangenen Donnerstag eine fünftägige Feuerpause aus, damit sich die Kurdenmilizen aus dem syrisch-türkischen Grenzgebiet zurückziehen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will dort eine „Sicherheitszone“ unter türkischer Kontrolle errichten.

Was genau hat Kramp-Karrenbauer vorgeschlagen?

Die Verteidigungsministerin hat die Idee einer Sicherheitszone in Nordsyrien aufgegriffen. Die soll nach ihren Vorstellungen allerdings international kontrolliert werden. Diskussionen über die Einrichtung einer internationalen Schutzzone gab es auch in der Vergangenheit schon, ohne dass die Idee umgesetzt wurde. „Wir müssen auf Dauer Strukturen schaffen, die eine Rückkehr der Flüchtlinge möglich machen, und eine Lösung, die für Stabilität und Sicherheit in der Region steht“, sagte die Ministerin nun. Ziel ihres Vorschlags sei es, die Lage zu deeskalieren, den Kampf gegen den Terrorismus fortzusetzen und ein stabiles Umfeld für den zivilen Aufbau zu sichern. Darüber will sie mit Frankreich, Großbritannien, den USA sowie der Türkei und Russland sprechen. Russland gilt als Schutzmacht des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Bemerkenswert ist, dass die Verteidigungsministerin einen Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung einer Schutzzone ausdrücklich nicht ausschließt. Bislang war die Bundesregierung stets zurückhaltend, wenn es darum ging, deutsche Soldaten in Kampfgebiete zu schicken.

Was heißt das für die Bundeswehr?

Das ist wie alle anderen Fragen eines möglichen Militäreinsatzes noch völlig unklar. „Wir können nicht nur beklagen, was in dieser Region passiert, und als Europa keine Antwort geben“, sagte die Verteidigungsministerin. Deutschland sei einer der stärksten Partner in Europa und müsse einen Beitrag leisten. Auf die Frage, wie dieser Beitrag aussehen könne, verwies Kramp-Karrenbauer in mehreren Fernsehinterviews lediglich auf den Bundestag, der ein solches Mandat beschließen muss. Gleichzeitig hob sie die Erfahrungen Deutschlands bei der Ausbildung kurdischer Kräfte, bei der Luftaufklärung im Kampf gegen den IS sowie beim zivilen Aufbau hin. Für einen Einsatz, wie er Kramp-Karrenbauer vorschwebt, sind jedoch auch Bodentruppen erforderlich. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter hatte sich, noch bevor die Ministerin mit ihren Plänen an die Öffentlichkeit ging, für den Aufbau einer humanitären Schutzzone ausgesprochen, die von 30 000 bis 40 000 Soldaten aus EU-Ländern abgesichert werden könnte. Es ist nicht vorstellbar, dass Deutschland sich der Entsendung von Bodentruppen entziehen kann, wenn es wirklich zu einer solchen internationalen Initiative auf Betreiben der Bundesregierung kommen sollte.

Wie steht die SPD zu den Plänen?

Der Koalitionspartner ist verschnupft, weil er nicht vorab von Kramp-Karrenbauer informiert wurde. Die Koalitionsspitzen hatten noch am Sonntagabend mehrere Stunden im Kanzleramt zusammengesessen, ohne dass die Ministerin ihre Pläne ansprach. Bevor sie am Montagabend erste Interviews zu der Initiative gab, informierte sie Bundesaußenminister Heiko Maas lediglich per SMS. Der SPD-Politiker zeigte sich am Dienstag entsprechend verstimmt: „Von SMS-Diplomatie halte ich wenig“, sagte er. „Daraus wird schnell eine SOS-Diplomatie.“ Er kenne zudem keine Details und habe eine Reihe von Fragen an die Ministerin. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich reagierte ebenfalls spitz: Der Vorstoß sei „offensichtlich eine sehr persönlich gehaltene Idee“ der Ministerin und CDU-Parteivorsitzenden und keine gemeinsame Initiative der gesamten Bundesregierung, sagte er.

Welche Reaktionen löste der Vorschlag international aus?

Das Auswärtige Amt erreichten „einige Fragen unserer Verbündeten“, bei denen es eine „gewisse Irritation“ gebe, berichtete Maas. Die Regierungen in Paris, London und Washington schwiegen zunächst zu der Initiative aus Deutschland. Die russische Regierung will den Vorschlag der Verteidigungsministerin prüfen, eine Position dazu gebe es aber noch nicht, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Vertreter der syrischen Kurden begrüßten den Vorstoß. Jeder Vorschlag zum Schutz der Zivilbevölkerung und zur Verwirklichung eines dauerhaften Friedens sei positiv, erklärte der Deutschland-Vertreter der von den Kurden errichteten Selbstverwaltung im Norden und Osten Syriens, Ibrahim Murad. Bedingung sei jedoch der Abzug türkischer Truppen aus Syrien.

Warum macht Kramp-Karrenbauer den Vorschlag jetzt?

Die Ministerin verwies auf die anstehenden Beratungen der Nato-Verteidigungsminister am Donnerstag und Freitag in Brüssel. Auch das Ende der vereinbarten Feuerpause am Dienstag spielte vermutlich eine Rolle. Der Vorschlag kommt jedoch auch zu einer Zeit, in der die CDU-Vorsitzende als geschwächt gilt. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sieht hinter der Initiative daher auch persönliche Motive: „Es entsteht der Eindruck, hier geht es um Profilierungsbemühungen einzelner Kabinettsmitglieder“, sagte der Parteichef.