Für Kassenpatienten Alltag: Lange Wartezeiten in den Arztpraxen. Foto: dpa

Bundesgesundheitsminister Spahn will, dass Kassenärzte mehr Sprechstunden anbieten müssen. Profitieren die Patienten davon wirklich?

Berlin - Die Wortwahl war drastisch. Es mache, erklärte Jens Spahn (CDU) schon 2014, viele Kassen-Versicherte „irre“, dass sie „in bestimmten Bereichen oft wochen-, ja monatelang auf Termine warten müssen und privat Versicherte sehen den gewünschten Facharzt schon binnen Wochenfrist“. Inzwischen ist der Mann zum Bundesgesundheitsminister aufgestiegen und will das Problem nun verstärkt angehen. Er hat angekündigt, vor der Sommerpause einen Vorschlag zu machen, wonach Kassenärzte 25 Stunden Sprechzeit in der Woche anbieten müssen. Im Vertrag zwischen Krankenkassen und Kassenärzten sind dafür aktuell 20 Stunden vorgeschrieben. Dass die meisten Mediziner deutlich mehr Sprechstunden haben, räumt Spahn ein. Es gebe aber auch welche, die ihren Auftrag zur Versorgung von Kranken nicht voll ausfüllten. Dies müsse sich ändern.

„Das ist nur ein gefühltes Problem“, meint der KBV-Chef

Die Ärzteschaft ist mit Verve in die Wartezeiten-Debatte eingestiegen. „Die Deppen der Nation sind wir bestimmt nicht“, sagt Andreas Gassen, der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Probleme bei der Terminvergabe an gesetzlich Versicherte abstreitet. „Ich bleibe dabei, es ist ein gefühltes Problem“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Im internationalen Vergleich laufe die Terminfindung in Deutschland extrem schnell – „und zwar für gesetzlich wie für privat Versicherte“. Spahns Pläne, die Mindestöffnungszeiten von Praxen für gesetzlich Versicherte von 20 auf 25 Stunden wöchentlich zu erhöhen, lehnt Gassen ab: „Eine Arztpraxis ist immer noch ein selbstständiger Betrieb. Da hat sich die Politik nicht einzumischen.“

Der KBV-Chef weist darauf hin, dass ein Zehntel der Leistungen, die Ärzte in der Versorgung für Patienten vornähmen, nicht vergütet werde. Gassen fordert deshalb Änderungen: Bestimmte Tätigkeiten sollen die Kassen ohne Deckel bezahlen, was etwa 450 Millionen Euro im Jahr koste. Im vergangenen Jahr betrug die Gesamtvergütung, die seitens der Kassen an die Ärzte bezahlt wurde, insgesamt 38,09 Milliarden Euro.

Die Krankenkassen kritisieren die Logik der Ärzte

Die Chefin des Spitzenverbands der Krankenkassen, Doris Pfeiffer, hält die Argumentation der Ärzte in puncto unbezahlte Arbeit für seltsam: „Stellen Sie sich vor, Sie fordern von Ihrem Arbeitgeber einen Monatslohn von 10 000 Euro. Er zahlt Ihnen weniger, aber immerhin 5000 Euro. Und dann beschweren Sie sich, Sie müssten den halben Monat umsonst arbeiten. Das ist die Logik der Ärzte.“ Pfeiffer mahnt aber auch, das Wartezeiten-Problem nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Im Jahr 2017 hätten die Terminservicestellen (TSS) 190 000 Termine vergeben: „Und das sind nachweislich dringende Fälle, sonst hätten sie ja keine Überweisung bekommen.“

Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben zum 23. Januar 2016 Terminservicestellen eingerichtet. Deren Aufgabe ist, gesetzlich Krankenversicherten mit einer dringenden Überweisung zum Facharzt einen Termin zu vermitteln. Gelingt es nicht, fristgerecht Termine an die Patienten zu vermitteln, verlangt der Gesetzgeber die ambulante Versorgung durch das Krankenhaus, bezahlt von den niedergelassenen Fachärzten. In Baden-Württemberg zählte die Kassenärztliche Vereinigung 2017 bei der Terminservicestelle 10 888 Termine – ein Plus von 103 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der enorme Anstieg hat damit zu tun, dass die TSS seit April 2017 auch dabei hilft, eine Erstberatung beim Psychotherapeuten zu bekommen.

Wie könnte die Lösung im Finanzstreit aussehen?

Im Finanzstreit zwischen Ärzten und Krankenkassen wird es aber sicher eine Lösung geben – und sei es nur, weil Spahn klargestellt hat, was er will: „Mehr Patienten als bisher zu behandeln muss sich für die Ärzte lohnen. Das muss zusätzlich vergütet werden.“ Offen ist nur noch, wie hoch das Plus ausfällt und wie es genau ausgestaltet sein soll – ob also etwa Hausbesuche oder Erstkontakte zwischen Arzt und Patient außerhalb des Budgets bezahlt werden. Gäbe es mehr Facharzttermine für diesen Erstkontakt, wäre vielen Patienten tatsächlich geholfen: So könnte zum Beispiel rasch abgeklärt werden, was sich hinter einem auffälligen Laborwert oder Beschwerden verbirgt, die nicht eindeutig zu diagnostizieren sind.

Schon 2012 bekam deshalb das Gremium, das die Einzelposten im kassenärztlichen Honorargefüge bestimmt, den Auftrag, eine bestimmte Ziffer für den Erstkontakt festzulegen. Geschehen ist seither nichts. Er habe „keine Lust, noch einmal sechs Jahre zu warten“, betont Spahn. Geduld braucht er aber bei der Frage, ob es künftig bei der Vergütung keinen Unterschied mehr zwischen Kassenversicherten und Privatpatienten gibt. Die einheitliche Vergütung soll nach dem Willen der großen Koalition eine Fachleute-Kommission klären, die bis 2019 Vorschläge machen soll. Die Kommission hat das Kabinett berufen, aber noch nicht entschieden, wer ihr angehört.