Der Fellbacher Gökay Sofuoglu ist seit vier Jahren Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, dem etwa 60 000 Mitglieder angehören. Foto: Leif Piechowski

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, ist von der großen Mehrheit für Staatschef Erdogan hierzulande nicht überrascht. Dies unterstreicht aus seiner Sicht die große Mobilisierungsfähigkeit der AKP-Anhänger.

Stuttgart - Die türkische Community müsse wieder etwas zur Ruhe kommen, hofft der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, nach den Wahlen am Bosporus. Eine Spaltung helfe nur der AfD und dem rechten Rand in Deutschland.

Herr Sofuoglu, Staatschef Erdogan hat seine Macht gefestigt. Er muss nicht einmal in die Stichwahl. Was hat in Ihren Augen den Ausschlag gegeben?
Das waren mehrere Faktoren: Zum Einen muss man den islamistisch-nationalistischen Rechtsruck in der Türkei zur Kenntnis nehmen. Die Kämpfe im nordsyrischen Afrin und in kurdischen Gebieten haben den Menschen das Gefühl gegeben, dass die Türkei eine stabile und nationalbewusste Regierung braucht. Zum Anderen wurde der Wahlkampf in der Türkei einseitig geführt: 98 Prozent der Medien haben die Opposition gar nicht wahrgenommen. Selbst die Millionen Menschen, die am Samstag noch auf den Plätzen der Städte waren, wurden im Grunde ignoriert.
Was wird er daraus machen: ein Ein-Mann-Regime?
Man muss sehen: Er ist erstarkt aus der Wahl hervorgegangen, aber seine Partei ist schwächer geworden. Erdogan muss jetzt im Parlament mit den Nationalisten regieren, die nicht sehr bequem sind für ihn.
Waren die Wahlen aus Ihrer Sicht rechtmäßig und fair?
Nach den Entscheidungen des jetzigen türkischen Rechtsstaates ist das alles rechtmäßig gelaufen. Auch die Opposition hat anerkannt, dass das Ergebnis zu akzeptieren sei. Ob es Wahlmanipulationen wie beim Referendum gegeben hat, das kann ich von hier aus nicht sagen. Aber allein die Entscheidung, innerhalb von zwei Monaten eine Wahl durchzuführen, hat der Opposition überhaupt keine Möglichkeit gelassen, sich zu präsentieren. Fair war der Wahlkampf auf keinen Fall.
Die Opposition zeigte sich ein Stück weit geschlossen – eine nachhaltige Entwicklung?
Das hoffe ich. Es gibt jetzt eine Opposition, und sie muss die demokratischen Forderungen noch stärker in den Vordergrund rücken. Wenn sie weiterhin so geschlossen auftritt, kann es dazu führen, dass wieder eine gewisse Sachlichkeit auf die Tagesordnung kommt – vor allem in einer Zeit, in der Erdogan die Wirtschafts- und Außenpolitik neu ordnen muss. Er hat inzwischen alles erreicht, was er erreichen wollte. Er hat überhaupt keine Ausreden mehr, die Türkei nicht so regieren zu können, wie er sich das wünscht. Nun ist auch die Opposition gefordert, dass die Türkei zur Ruhe kommt. Sie ist inzwischen dermaßen politisiert, dass man so langsam wieder zur Tagesordnung übergehen will. Das wünsche ich mir auch für die Auslandstürken hier in Deutschland, dass wir uns von der Türkei-Politik abkehren und uns wieder mehr der Politik in Deutschland widmen.
Hierzulande hat Erdogan sogar noch ein besseres Ergebnis erzielt als in der Türkei selbst. Zwei Drittel der Auslandstürken sind für ihn. Wie erklären Sie sich dies?
Man muss zur Kenntnis nehmen: Erdogan ist beliebt. Und die zweite und dritte Generation hier sind mit ihm aufgewachsen. Sie kennen keinen anderen, der in der Türkei regiert. Auch stellt er sich mit dem Bau von Autobahnen, Einkaufszentren oder Krankenhäusern in der Türkei den Menschen hier als Kümmerer dar. Diese Rechnung ist aufgegangen. Hinzu kommt, dass etwa in Österreich Moscheen verboten worden sind – da wird gar nicht mehr genau hingeschaut. Die subjektive Wahrnehmung, dass sich Europa islamfeindlich entwickelt, hat die Menschen hier dazu bewegt, einen starken Mann zu wählen, der dafür sorgt, dass es ihnen auch in Europa gut geht.
Kann das Ergebnis der Wahlen die türkische Gemeinde weiter polarisieren oder führt das zum Rückzug der Erdogan-Gegner?
Dies sind Menschen, die in Deutschland ihre Zukunft sehen und sich dennoch eine andere, demokratischere Türkei wünschen. Dies ist nicht passiert. Daher wird es jetzt bei ihnen eine Phase der Demoralisierung geben.
Hier hat es eine große Debatte um Auftritte türkischer Wahlkämpfer gegeben. Stattdessen hat Erdogan nun mit schriftlicher Wahlwerbung und mit Hilfe seinen konservativen Botschafter gepunktet.
Vor dem Referendum hat er noch eine Opferrolle eingenommen, dass er und seine Minister hier nicht reden dürfen. Davon hat er nun Abstand genommen und sich da zurückgehalten. Aber seine Wahlkämpfer hier haben gut gearbeitet. Vor allem in den letzten vier Tagen des Wahlkampfs waren die AKP-Anhänger sehr gut organisiert. Sie haben die Menschen mit Bussen und anderen Mitfahrgelegenheiten von weither zu den Wahlurnen transportiert. Und man muss bedenken, dass der Wahlkampf während der Ramadan-Zeit stattgefunden hat – in einer Phase also, in der die Menschen sehr emotional sind. Man merkt, dass die AKP in Deutschland eine sehr starke Kraft geworden ist, die sich auf solche Wahlen einstellen und mobilisieren kann.
Wurden Sie persönlich auch angegangen?
Wir haben natürlich dazu aufgerufen, zur Wahl zu gehen. Aber wir haben uns aus der täglichen Auseinandersetzung im Wahlkampf ganz herausgehalten, weil wir denken, dass wir in Deutschland genügend Themen haben, die wir behandeln müssen. Die Türkei-Themen spalten die türkische Gesellschaft hierzulande. Die Polarisierung hilft aber mehr der AfD und dem rechten Rand als uns. Klar, wünschen wir uns eine Rechtsstaatlichkeit und mehr Demokratie in der Türkei. Aber darauf können wir keinen Einfluss nehmen, das können wir nur auf die Politik in Deutschland. Und da ist jede Spaltung bei uns schädlich.