Der Europäische Gerichtshof hat die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland endgültig gekippt – doch prompt streitet die Ampelkoalition darüber, wie Straftäter im Internet stattdessen verfolgt werden sollen.
Das Urteil kam wenig überraschend – und sorgt dennoch für Streitpotenzial in der Ampelkoalition. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Dienstag entschieden, dass die deutsche Vorratsdatenspeicherung nicht mit dem Europarecht vereinbar ist. Damit halten die Luxemburger Richter zum wiederholten Mal fest, dass es gegen die Grundrechte verstößt, Telefon- und Internetdaten aller Bürger ohne Anlass massenhaft für Polizeizwecke zu speichern.
Doch zugleich umriss das Gericht Bedingungen, unter denen Ermittler trotzdem auf gespeicherte Kommunikationsdaten zurückgreifen könnten. In ihren Reaktionen auf das Urteil zeigten sich deutsche Politiker denn auch uneins über die Frage, wie Straftäter im Internet künftig verfolgt werden sollen – allen voran Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Datenschützer protestieren seit Jahren
Nach der deutschen Regelung von 2015, die bereits 2017 nach Gerichtsurteilen ausgesetzt wurde, sollten Telekomanbieter zehn und vier Wochen lang speichern, wer mit wem von welchem Ort aus telefoniert und mit welcher IP-Adresse im Internet gesurft hatte. Das lasse laut den EuGH-Richtern jedoch „sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben“ und ein genaues Profil jeder Person zu. Dass der EuGH dies für grundrechtswidrig erklärt hat, bestätigt Datenschützer und Bürgerrechtsorganisationen in ihrer jahrelangen Ablehnung. Der IT-Verband Bitkom begrüßte das Urteil ebenso wie der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber.
Eine „herbe Klatsche“ für Befürworter der Vorratsdatenspeicherung
Gleiches gilt für Koalitionspolitiker. Justizminister Buschmann sprach von einem „guten Tag für die Bürgerrechte und den Rechtsstaat“. Er verwies auf den Koalitionsvertrag, laut dem es „keine anlasslose Speicherung von Kommunikationsdaten“ mehr geben solle. Stattdessen will Buschmann in wenigen Wochen einen neuen Gesetzesentwurf vorlegen: Mit dem „Quick-Freeze-Verfahren“ sollen Ermittler erst bei einem Anfangsverdacht die Daten einer Person „einfrieren“ können, um sie später nach richterlichem Beschluss auszuwerten.
Auch in der Fraktion der Grünen zeigte man sich erfreut. Fraktionsvize Konstantin von Notz und Helge Limburg, Sprecher für Rechtspolitik, sprachen von einer „herben Klatsche“ für jene, denen es seit Jahren nicht gelungen sei, eine verfassungskonforme Regelung für die Speicherpflicht vorzulegen. Sie stelle alle Bürger unter Generalverdacht. Die beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag, Dirk Wiese und Detlef Müller, befürworteten das geplante „Quick Freeze“-Konzept und betonten, Daten dürften nicht anlasslos gespeichert werden.
Ministerin widerspricht Parteikollegen
Anders äußerte sich jedoch ihre Parteikollegin und Innenministerin Faeser – und machte so die Gräben innerhalb der Regierung deutlich. Sie verwies darauf, dass der EuGH in seinem Urteil unter anderem die Möglichkeit einer generellen Speicherpflicht für IP-Adressen erwähnt hatte. „Die Speicherung der Daten, mit denen wir Täter identifizieren können, ist unbedingt erforderlich – und nach dem heutigen Urteil zulässig“, betonte Faeser. Dies gelte zum Beispiel für sexualisierte Gewalt an Kindern, aber auch für organisierte Kriminalität und Terrorismus. Den Rahmen des Urteils auszuschöpfen, sei für sie „keine ideologische Frage“.
FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle betonte, dass die Liberalen das anders sehen: „Wir wollen keine anlasslose Vorratsdatenspeicherung, auch nicht der IP-Adressen, selbst wenn der EuGH sagt, dass das geht.“
Union unterstützt Faeser
Unterstützung erhielt Faeser aus den Reihen der Union, die die Vorratsdatenspeicherung lange vorangetrieben hatte. CDU-Chef Friedrich Merz appellierte an die Bundesregierung, die Möglichkeit, IP-Adressen zu speichern, insbesondere bei der Verfolgung von Kindesmissbrauch zu nutzen. Auch die Innenminister von Baden-Württemberg und Bayern, Thomas Strobl (CDU) und Joachim Herrmann (CSU), forderten eine Neuregelung, um IP-Adressen zu speichern.