Auch gebanntes Zuhören wird am Vorlesetag geübt. Foto: Cedric Rehman

Am bundesweiten Vorlesetag greifen in der Freien Aktiven Schule Kinder und Erwachsene zum Buch. Zum Vorlesen oder Zuhören wird an diesem Tag allerdings keiner gezwungen, alles basiert auf Freiwilligkeit.

Degerloch - Stell dir vor, es ist Vorlesetag an der Freien Aktiven Schule (FAS) in Degerloch, und manche Schüler gehen nicht hin. Sie tollen lieber im Freien oder basteln für den Advent. Aber genau so ist es. Niemand wird an diesem Tag gezwungen, sich mit Vorlesen oder Zuhören zu beschäftigen. Der bundesweite Vorlesetag am Freitag, 15. November, wird an der FAS nicht mit einem Vorlesewettbewerb umgesetzt wie an vielen anderen Schulen. Dabei werden die Kinder bewertet, und es liegt in der Natur der Sache, dass der Vorlesetag für manche mit einer Enttäuschung endet.

Stattdessen ziehen sich diejenigen, die vorlesen oder zuhören wollen in gemütliche Nischen zurück und sitzen auf Sofas oder Kissen. Ein Lehrer, der an der FAS als pädagogischer Berater bezeichnet wird, ist zwar immer in der Nähe. Aber er ist nicht dafür da, sich Gedanken zu machen, welche Zensur für das Vorlesen angemessen wäre.

Auch Eltern beteiligen sich

Zensuren gibt es an der reformpädagogischen Schule ohnehin nicht. „Freiwilligkeit ist bei uns an der FAS Prinzip“, sagt die Lehrerin Katrin Bohner. Auch Eltern sind an jenem Freitag an der Schule, um den Kindern und Jugendlichen vorzulesen. Sie sind aber nicht allein zu diesem Zweck gekommen. Nachmittags sollen sie als Zuhörer auf ihre Kosten kommen.

Der Schriftsteller und Autor von politischen Kriminalromanen, Wolfgang Schorlau, besucht die FAS und liest aus seinem Roman „Der perfekte Mord“ vor. Auch andere Gäste haben sich für den Vorlesetag angekündigt, um aus Büchern zu lesen: die Dokumentarfilmerin Sigrid Klausmann-Sittler und die Bezirkschefin Brigitte Kunath-Scheffold. „Wir wissen noch nicht genau, welche Bücher sie für uns ausgesucht haben, das wird eine echte Überraschung“, sagt Katrin Bohner.

Die Lehrerin schätzt, dass sich etwa die Hälfte der Schüler an der FAS an dem Tag am Vorlesen beteiligen werden.

„Manche unserer Schüler haben sogar einen 24-stündigen Lesemarathon vorgeschlagen. Wir haben sie dann darauf aufmerksam gemacht, dass es Mitte November nachts ganz schön kalt wird“, sagt Katrin Bohner. Nun wird immerhin einen halben Tag lang gelesen – von 8 Uhr morgens bis 20 Uhr abends.

Freiwilligkeit ist Prinzip

Dabei geht es nicht nur um Bücher auf Deutsch. Die Mutter Gerti Henle liest auf Englisch aus dem amerikanischen Comic-Roman „Gregs Tagebuch“ vor. Sie hat Englisch studiert und deshalb keine Probleme mit der korrekten Aussprache. Die Jugendlichen, die um sie herum auf Kissen sitzen, sind zwischen zwölf und 15 Jahre alt. Einige werden Gerti Henle ablösen und selbst etwas vorlesen; andere wollen nur zuhören. Sie werden dabei ganz unterschiedliche Bücher vorstellen, darunter so populäre wie die „Tribute von Panem“ von der US-amerikanischen Schriftstellerin Suzanne Collins. Die Lehrer an der FAS hätten im Vorfeld des Vorlesetags keinen Einfluss genommen auf die Auswahl der Bücher, sagt Katrin Bohner. Einige Bücher stammen aus der Schule, andere bringen die Schüler von daheim mit. Viele lesen aus Lieblingsbüchern oder auch bloß aus dem, was sie ohnehin gerade lesen.

Die meisten Zuhörer sind begeistert, aber nicht alle. Ein Elfjähriger langweilt sich; er will lieber noch etwas für die Schule arbeiten. Wer lieber lernt, als Geschichten anzuhören, darf auch das. Denn Freiwilligkeit ist an der FAS schließlich Prinzip.