Die Mieten in Stuttgart und der Region steigen – und der Mieterverein sieht in manchen Fällen unlautere Methoden. Foto: dpa

Wenn ein Eigentümer selbst in eine vermietete Wohnung ziehen will, kann er wegen Eigenbedarfs kündigen. Der Stuttgarter Mieterverein wittert jetzt aber eine neue Masche – und kündigt mit scharfen Worten an, „lügende Vermieter“ zur Rechenschaft zu ziehen.

Stuttgart/Fellbach - Als die allein erziehende Mutter von zwei Kindern erfährt, dass ihre Mietwohnung eine neue Eigentümerin hat, ahnt sie nichts Böses. Bis sie einen neuen Vertrag unterschreiben soll – mit rund 50 Prozent höherer Miete. Sie weigert sich. Die Auseinandersetzungen gehen weiter, als sich nach einer Vermessung herausstellt, dass die Wohnung auch noch deutlich kleiner ist wie von der neuen Vermieterin behauptet. Einige Monate lang ist Ruhe. Doch dann flattert der Fellbacherin eine Kündigung wegen Eigenbedarfs ins Haus. Die Eigentümerin, heißt es darin, wolle nun selbst einziehen.

Dagegen kann man sich schwer wehren. Also sucht die Frau nach einer neuen Wohnung. „Ich habe 80 Bewerbungen geschrieben und nur zwei Antworten bekommen – beides Absagen“, erinnert sie sich. Schließlich hilft der Zufall. Bekannte können eine neue Bleibe vermitteln. Die ist kleiner und zugleich teurer als die alte Wohnung. Aber der Familie bleibt nichts anderes übrig, als zuzugreifen. „Nach dem Umzug habe ich die Sache abgehakt“, sagt die Frau. Bis Monate später frühere Nachbarn sie ansprechen. Die erzählen, in der alten Wohnung lebten jetzt neue Mieter – die deutlich mehr bezahlen. „Da habe ich mir gesagt: Jetzt reicht’s“, so die Fellbacherin.

Immer mehr Beratungsbedarf

Sie holt sich Unterstützung und einen Rechtsanwalt beim Stuttgarter Mieterverein. Der verklagt die frühere Vermieterin wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs – und bekommt vor dem Waiblinger Amtsgericht vor wenigen Wochen Recht. Der Frau wird Schadenersatz zugesprochen. Sie bekommt die Mehrkosten für die neue Wohnung für zwei Jahre sowie die Umzugskosten erstattet – insgesamt fast 8000 Euro. Den Ausführungen der früheren Vermieterin, ihr Einzug habe sich aus familiären Gründen verzögert, schenkt das Gericht keinen Glauben.

Der Mieterverein sieht darin keinen Einzelfall. „Das ist eine Masche, um unliebsame Mieter loszuwerden oder höhere Mieten zu erzielen“, sagt der Vorsitzende Rolf Gaßmann. Man stelle besorgt fest, „dass Kündigungen wegen Eigenbedarfs drastisch zunehmen“. Beim Verein habe sich die Zahl der Anträge auf Rechtsschutz wegen solcher Fälle zwischen 2013 und 2018 um 72 Prozent erhöht. „Häufig ist der Eigenbedarf aber nur vorgeschoben“, sagt Gaßmann – und kündigt mit scharfen Worten an, künftig „verstärkt mit Schadenersatzklagen gegen lügende Vermieter vorzugehen“. Das Waiblinger Urteil diene dabei als Grundlage. Mietern rät er, nach Auszug zu prüfen, wer in ihre Wohnung eingezogen ist.

Rechtlich ist der Eigenbedarf klar geregelt. Er gilt, wenn der Vermieter die Wohnung für sich selbst oder einen Familienangehörigen benötigt. „Nach aktueller Rechtsprechung wird dieser Kreis bis hin zu Nichten und Neffen gezogen“, sagt Ulrich Ropertz, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes in Berlin. Auch wer zum Hausstand gehört, wird eingeschlossen, etwa eine Pflegekraft. Im Kündigungsschreiben muss klar genannt werden, warum gekündigt wird und für wen. „Typische Fälle von vorgetäuschtem Eigenbedarf sind die Vermietung an einen Dritten oder der Verkauf“, so Ropertz. Sei das nachgewiesen, habe der frühere Mieter Ansprüche auf Schadenersatz. Auch eine strafrechtliche Verfolgung wegen Betruges sei denkbar.

Eigentümerverband sieht keinen Trend

In der Praxis kommen laut Ropertz solche Fälle aber selten vor – weil der Nachweis schwierig ist: „Der Vermieter muss nur behaupten, dass sich nach Ablauf der Kündigungsfrist die Lage geändert hat.“ Das lasse sich konstruieren. Man könne etwa in der Kündigung anführen, der Sohn brauche die Wohnung während des Studiums. Zieht dann doch ein anderer Mieter ein, lautet die Begründung dafür, der Sohn habe sich kurzfristig für eine andere Stadt entschieden.

Beim Stuttgarter Haus- und Grundbesitzerverein kann man die Vorwürfe eines neuen Trends nicht nachvollziehen. „Einzelne solche Fälle gibt es seit jeher. Dabei geht es aber nicht um mehr Geld, weil man ja einfach die Miete erhöhen könnte, sondern meist darum, dass Mieter und Vermieter nicht miteinander können“, sagt Geschäftsführer Ulrich Wecker. Die Methode sei nicht nur illegal, sondern komme auch deshalb kaum vor, weil sie sehr einfach zu durchschauen sei: „Es lässt sich leicht nachprüfen, wer eingezogen ist. Das bedeutet sehr viel Ärger für den Vermieter“, so Wecker.

Zum Feiern zumute ist es der Fellbacherin trotz des Gerichtsurteils nicht. „Die Ängste und der Stress wegen der Kündigung waren für meine Familie und mich enorm“, sagt sie.