Das Pestizid Glyphosat soll in Stuttgart weniger benutzt werden. Foto: dpa-Zentralbild

OB Kuhn und der Gemeinderat sorgen sich um die Tierwelt. Sie wollen den Einsatz des Herbizids Glyphosat eindämmen – auch auf Flächen, die die Stadt verpachtet. In der Praxis ist das schwer. Die Existenz von Bauernhöfen will man nicht gefährden.

Stuttgart - Das umstrittene Pflanzenvernichtungsmittel Glyphosat soll in Stuttgart stärker zurückgedrängt werden – weil es vielen Insekten die Lebensgrundlage nimmt und Arten ausrottet, zudem im Verdacht steht, die menschliche Gesundheit zu schädigen. OB Fritz Kuhn (Grüne) und der städtische Wirtschaftsausschuss haben die Marschrichtung abgesteckt.

Ihr Ziel: Auch auf den von der Stadtverwaltung verpachteten, unbebauten und unbewaldeten Flächen soll weniger von diesem Herbizid gespritzt werden. „Auf Privatflächen haben wir keinen Zugriff“, stellte Kuhn klar. Außerdem: Die Bundesregierung hat Ende 2017 ja selbst die erneute Zulassung des Mittels für fünf Jahre ermöglicht. Den Einsatz von Glyphosat bei der Stadt Stuttgart – etwa beim Garten-, Friedhofs- und Forstamt – hatte Kuhn als Verwaltungschef jedoch bereits im März 2016 für beendet erklärt. Später habe es zum Beispiel von Besuchern des Ostfildern-Friedhofs in Sillenbuch Beschwerden gegeben, weil sie dort auf den Wegen auf Moosen ausgerutscht seien, räumte Kuhn ein. Beim städtischen Weingut musste er 2016 den Einsatz von Glyphosat aus praktischen Gründen sogar rasch wieder erlauben.

Bauernverband hat Bedenken angemeldet

Von den rund 633 Hektar Boden, die die Stadt verpachtet, sollen nach und nach knapp 57 Prozent oder 360 Hektar vertraglich als glyphosatfrei geregelt werden: Wiesen, Streuobstwiesen und Kleingärten. Die praktischen Folgen dürften bescheiden sein: In Wiesen wird Glyphosat kaum eingesetzt. Die Landwirte, Obstanbauer und privaten Wengerter mit Pachtland von der Stadt sollen aber nicht zum Verzicht auf Glyphosat verpflichtet werden, denken der OB und vermutlich auch die Gemeinderatsmehrheit. Da könne es um die beruflichen Existenzen etwa von konventionell arbeitenden Bauern gehen, sagte Kuhn. Und er wolle, dass es in der Industriestadt Stuttgart auch künftig Bauern gebe. Nicht zufällig hatte auch der Bauernverband vorsorglich gewarnt.

Der Erste Bürgermeister Michael Föll (CDU) gab zu bedenken, Glyphosat werde nur auf einem Viertel der 236 Hektar Ackerflächen im städtischen Eigentum eingesetzt. Die Fraktionsgemeinschaft SÖS/Linke-plus möchte die Äcker trotzdem einbezogen wissen, wenn Kuhn nun einen Beschlussvorschlag formuliert und ihn am 22. März dem Gemeinderat vorlegt, signalisierte Christoph Ozasek. Auch die Grünen wollen landwirtschaftliche Pachtflächen von der Stadt „langfristig glyphosatfrei“ machen, denn die „Agrarwende“ müsse kommen, meinte Anna Deparnay-Grunenberg.

Sorge um Sicherheit auf den Gleisen

Unstrittig war, dass man nicht nur dem Weingut eine Sonderrolle einräumt, sondern auch der Hafengesellschaft und den Verkehrsbetrieben SSB. Sie dürfen noch auf Glyphosat zurückgreifen, müssen den Einsatz aber zurückfahren. Bei einem Verzicht, hatte SSB-Technikvorstand Wolfgang Arnold gewarnt, müssten die Gleiskörper der Stadtbahn auf längere Sicht im Schnitt alle zehn statt alle 25 bis 30 Jahre saniert werden. Jährliche Mehrkosten: „fünf Millionen Euro“, so Arnold. Glyphosat werde auf zweigleisigen Streckenabschnitten mit insgesamt 50 Kilometer Länge zweimal im Jahr gespritzt. Man rede dabei über rund 80 Liter. Man versuche damit die Stabilität des Gleiskörpers und die Sicherheit zu erhalten.

Der Chef der Hafengesellschaft, Carsten Strähle, sagte, von Pflanzen verursachter Schmierfilm auf Gleisen verlängere den Bremsweg von Schienenfahrzeugen. Gehe man gegen den Bewuchs in Kaimauern mit zu starkem Heißdampf vor, beschädige man sie möglicherweise. Und den Schotter von Gleisanlagen bekomme man damit nicht pflanzenfrei. Man versuche aber, das Glyphosat durch ein Öko-Herbizid zu ersetzen.

Weingut 2019 ganz ohne Glyphosat?

Weingut-Leiter Timo Saier sagte, man brauche Zeit, damit die Umstellung fachlich gut verlaufe. Er will in Teilen der Steil- und Terrassenlagen etwa drei Jahre lang eine ökologischere Unkrautbekämpfung testen und die Kosten beobachten. In den elf Hektar Normallagen wollen Saier und der zuständige Bürgermeister Föll aber schon in diesem Jahr beim Ersatz von Glyphosat weiterkommen. Das nötige Gerät sei angeschafft. Probleme gebe es beim Personal. Da gehe es nicht um zusätzliche Stellen, sondern um fachliche Qualifikation, sagte Föll. Für die fünf Hektar Steillagen werde man „Lohnunternehmer“ suchen und bezahlen müssen. OB Kuhn meint, das Weingut könnte schon 2019 glyphosatfrei werden.

Die Ausschussmehrheit wollte für den Ökoweinbau hier nicht sparen. Nur Bernd Klingler (AfD) erklärte den Herbizidverzicht zum Unfug. Neben den schmalen Weinbergen komme auch Glyphosat zum Einsatz. Der Wengerter Konrad Zaiß (Freie Wähler) mahnte Augenmaß an: Glyphosat werde mangels Alternative von geschulten Menschen sparsam eingesetzt. Dass es beim Menschen Krebs errege, wenn es in der Nahrungskette ist, sei unbewiesen.