Der Bundestrainer Julian Nagelsmann hat sich früh auf Spieler festgelegt. Das schafft Klarheit vor der Heim-EM – aber es stellen sich vor dem Eröffnungsspiel gegen Schottland auch Fragen.
Es ist davon auszugehen, dass Steve Clarke keine schlaflosen Nächte hat. Jedenfalls nicht, wenn er an die deutsche Aufstellung für das EM-Eröffnungsspiel am Freitag (21 Uhr/ZDF) denkt. Man muss sogar annehmen, dass der schottische Nationalcoach die Startelf seines Kollegen Julian Nagelsmann für die Begegnung in München mittlerweile im Schlaf aufsagen kann: Neuer im Tor, Kimmich, Rüdiger, Tah und Mittelstädt in der Abwehr, davor Kroos und Andrich, im offensiven Mittelfeld Musiala, Gündogan, Wirtz und im Angriff Havertz.
Das ist die Auswahl des Bundestrainers. Sie sei aber „nicht in Stein gemeißelt“, sagt Julian Nagelsmann. 13 Feldspieler kämen in Frage, wenn angepfiffen wird. Dazu gehören wohl noch Leroy Sané und Pascal Groß, die zuletzt beim zähen 2:1-Testspielsieg gegen Griechenland überzeugt haben. Ansonsten gibt es im Kreis des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) noch eine Reihe von Spezialkräften. Ein Kadercheck.
Torwart Diese Frage sollte rund um die DFB-Mannschaft gar keine Rolle spielen. Manuel Neuer ist ja wieder fit. Doch der 38-Jährige hat mit einer Reihe von Fehlern eine Diskussion um den Posten zwischen den Pfosten ausgelöst. Ist er noch der richtige Mann? Der Bundestrainer Julian Nagelsmann sagt ja, uneingeschränkt. „Im Mannschaftskreis reden wir nicht darüber“, ergänzt der Stürmer Niclas Füllkrug, „wir sind auf dieser Position zuletzt verwöhnt gewesen.“
Marc-André ter Stegen wird dabei mit den Zähnen knirschen. Er hat seine Rückversetzung als „Schlag“ empfunden. An ter Stegens Loyalität ändert das aber nichts. Der Schlussmann des FC Barcelona steht parat. Oliver Baumann (TSG Hoffenheim) vervollständigt das Torwarttrio, nachdem Alexander Nübel (VfB Stuttgart) aus dem Kader gestrichen wurde.
Abwehr Joshua Kimmich und Maximilian Mittelstädt auf den Außenposition, Antonio Rüdiger und Jonathan Tah in der Innenverteidigung – das ist die Viererkette, die der Bundestrainer aufreiht. Eine Abwehr, die nicht als Bollwerk durchgeht. Obwohl im Zentrum zwei Kanten stehen. Niclas Füllkrug hat gegen beide gespielt und meint: „Da sind wir sehr gut aufgestellt. Am Mann sind Antonio Rüdiger und Jonathan Tah weltklasse, und auch ansonsten bringen sie alle Qualitäten mit.“
Um Rüdiger formiert Julian Nagelsmann die anderen. Wobei auf der rechten Seite Kimmichs Tempodefizite zu Tage treten. Der Münchner zählt jedoch zu den Führungskräften im DFB-Team und bildet mit dem Stuttgarter Aufsteiger Mittelstädt das Außenverteidigerpaar. Alternativen sind der variable Benjamin Henrichs und David Raum (beide RB Leipzig). Für Innen bieten sich die formstarken Waldemar Anton (VfB Stuttgart) und Nico Schlotterbeck (Borussia Dortmund) an. Robin Koch (Eintracht Frankfurt) gilt als der Mann für den äußersten Notfall.
Mittelfeld Seit Toni Kroos zurück ist, bildet er den Fixpunkt. Der Aufbau läuft über ihn und viele Angriffe gehen von ihm aus. Und wenn die Mitspieler nicht mehr wissen, wohin mit dem Ball, dann ist der Mittelfeldspieler meist die sicherste Option. „Er ist der Meister in Ballbesitzphasen“, sagt Niclas Füllkrug. Sein Beschützer ist Robert Andrich. Der Leverkusener kann jedoch mehr als dem 34-Jährigen den Rücken freihalten. Konkurrenz entsteht nun durch Pascal Groß, der flexibel einsetzbar ist und unaufgeregt auftritt.
Für den Offensivbereich sind Jamal Musiala und Florian Wirtz gesetzt. Sie sind für die magischen Momente zuständig. Dazwischen geschaltet ist Ilkay Gündogan. Der Kapitän organisiert den vorderen Bereich, schwächelte in der Nationalelf in den vergangenen Spielen jedoch. Auswechslungen waren die Folge – und die Debatte, ob es den Techniker vom FC Barcelona auf dieser Position braucht.
Als Spezialkräfte werden in der Kategorie Mittelfeld noch Leroy Sané und Chris Führich geführt, obwohl sie sich als Angreifer verstehen, Flügelstürmer genau genommen. Sie sind dazu da, neuen Schwung zu bringen, wenn das Spiel feststeckt. „Bei einem Turnier ist es wichtig, Spieler auf der Bank zu haben, die sofort Impulse geben“, sagt Nagelsmann, der noch den jungen und ballsicheren Aleksandar Pavlovic (FC Bayern München) für die Zentrale im Kader behalten hat.
Angriff Fünf Namen führt der DFB auf, doch nur einer erfüllt das Profil des klassischen Mittelstürmers: Niclas Füllkrug. Der Dortmunder ist derjenige, der in der Amtszeit von Julian Nagelsmann die meisten Tore erzielt hat. Viermal hat er getroffen, sein Konkurrent Kai Havertz nur dreimal. Wobei der Angreifer des FC Arsenal aktuell als einziger deutscher Spieler geführt wird, der überhaupt EM-Treffer erzielt hat: zwei vor drei Jahren.
Jetzt geht es von Neuem los und Havertz gibt die Neun mit dem spielerischen Akzent. „Ich wünsche ihm jedes Tor, das er erzielen kann“, sagt der Joker Füllkrug. Hinter ihnen positionieren sich der routinierte Thomas Müller (FC Bayern) und der frisch-freche Deniz Undav (VfB Stuttgart). Beide nehmen ihre Rolle an. Bleibt noch Maximilian Beier, der auf den letzten Drücker sein EM-Ticket gesichert hat – mit einem klaren Auftrag. „Ich soll von der Bank reinkommen und noch einmal richtig Stress machen“, sagt der 21-jährige Hoffenheimer. Was dann Steve Clarke doch um den Schlaf bringen könnte.