Die Unglücksmaschine Air France Concorde Flug 4590 beim Start. Foto: AP

Der Concorde-Absturz im Jahr 2000 zählt zu den dunkelsten Kapiteln der französischen Luftfahrt.

Paris - Der Concorde-Absturz vom 25. Juli 2000 zählt zu den dunkelsten Kapiteln der französischen Luftfahrt. In dem brennenden Jet starben 113 Menschen, darunter 96 Deutsche und ein Österreicher. Zugleich besiegelt er das Ende einer von Mythen umwobenen Überschall-Ära.

Air France stellte den Concorde-Flugbetrieb wenig später ein und rollte das als "Königin der Lüfte" gepriesene Verkehrsflugzeug ins Museum. Vom heutigen Dienstag an muss ein Gericht klären, wer die strafrechtliche Schuld an der Katastrophe trug. Fünf Angeklagte sowie die US-Fluggesellschaft Continental Airlines müssen sich in Pontoise bei Paris wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung verantworten.

Die Ermittler der französischen Flugunfall-Untersuchungsbehörde BEA sehen in der US-Airline den Hauptschuldigen. Ihre Unglücksversion: Eine Titan-Lamelle, die kurz vor dem Concorde-Start aus dem Triebwerk einer amerikanischen DC-10 gebrochen war und auf der Startbahn lag, soll die verhängnisvolle Kettenreaktion ausgelöst haben. Zuerst schlitzte das Metallteil den linken Reifen auf, so dass schwere Gummiteile gegen den Tank geschleudert wurden, ein Leck entstand, und das aus dem Deltaflügel strömende Kerosin verband sich in Sekundenbruchteilen mit den heißen Abgasen des mächtigen Concorde-Triebwerks im Heck. Amateur-Videos zeigten, wie der Düsenjet mit der Flugnummer AF 4590 in geringer Flughöhe einen gewaltigen Feuerschweif hinter sich herzog.

Das Drama dauerte gerade mal zwei Minuten. Um 16.42 Uhr hob die Concorde auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle ab, und schon um 16.44 Uhr krachte die Maschine im Vorort Gonesse in das Nebengebäude eines Hotels. 39 Sekunden vor dem Crash setzten die Piloten noch einen Funkspruch ab, sie wollten mit der lädierten Maschine auf dem benachbarten Flughafen Le Bourget landen. Doch der Schub der beiden Motoren ließ rapide nach, die Concorde verlor zusehends an Höhe, drehte sich scharf zur Seite und zerschellte. Im Wrack starben alle Insassen - 100 Passagiere und neun Besatzungsmitglieder. Die meisten verbrennen bis zur Unkenntlichkeit. Vier weitere Menschen kamen am Boden ums Leben.

Continental Airlines wird in dem Strafprozess versuchen, jede Verantwortung energisch zurückzuweisen. Ihr Anwalt Olivier Metzner sagte der Zeitung "France Soir": "Wir haben zahlreiche Zeugen, darunter auch Feuerwehrleute und Bordkommandanten, die bestätigen können, dass die Concorde Feuer fing und erst 700 Meter später über die Lamelle fuhr."

Der Frankfurter Rechtsanwalt Ronald Schmid, ein renommierter Professor für Luftverkehrsrecht, hegt ebenfalls große Zweifel an der Lamellen-Version. Es habe bereits vorher nachweislich acht bis zehn Vorkommnisse gegeben, bei denen ebenfalls Concorde-Reifen geplatzt seien und herumfliegende Teile Lecks im Tank verursacht hätten. "Ganz offenkundig haben wir es mit einem Konstruktionsfehler zu tun", argumentiert Schmid. Er fügt hinzu: "Übertriebenes Prestigedenken und falsche Sparsamkeit waren bei den Air-France-Verantwortlichen möglicherweise stärker ausgeprägt als das Sicherheitsbewusstsein." Bezeichnend für den Experten: Erst nach dem Absturz sei die Reifenqualität verbessert und seien die Flügel verstärkt worden.

Merkwürdig findet Schmid deshalb, dass auf der Anklagebank in Pontoise ein Air-France-Mechaniker und sein Vorgesetzter sitzen: "Damit trifft es leider die Falschen."

Ginge es nach dem Luftverkehrsexperten, sollten nicht "die Kleinen", sondern die Chefetage von Air France zur Rechenschaft gezogen werden: so etwa der Leiter der Technik, der Leiter des Flugbetriebs und das zuständige Vorstandsmitglied. "Es ist schwer vorstellbar, dass diese Herren nichts von früheren Vorkommnissen gewusst haben. Bei ihnen hätten die Alarmglocken schrillen müssen." Die Hinterbliebenen der Concorde-Katastrophe sind mehrheitlich an dem Strafprozess nicht mehr beteiligt. "Aber sie haben einen Anspruch darauf zu erfahren, ob jemand für den Tod ihrer Angehörigen verantwortlich ist", sagt Ronald Schmid, der im längst abgeschlossenen Zivilverfahren ihr Prozessbevollmächtigter war. Über die Höhe des gezahlten Schmerzensgeldes schweigt sich der Anwalt aus. Aber es steht fest, dass die Abfindungen für europäische Verhältnisse außergewöhnlich hoch ausfielen. Inoffiziell ist von über 100 Millionen Euro die Rede.

Die Katastrophe in Gonesse besiegelte das Ende des französisch-britischen Wundervogels, der mit doppelter Schallgeschwindigkeit über den Atlantik düste und die Strecke von Paris bzw. London nach New York in nur drei bis dreieinhalb Stunden zurücklegte. "Le bel oiseau blanc", der schöne weiße Vogel, wie ihn die Franzosen stolz nennen, diente drei Jahrzehnte lang - wenn auch stets defizitär - als Aushängeschild der französischen Luftfahrt. Er repräsentierte Frankreichs Ruhm am Himmel. Am 31. Mai 2003 absolvierte die Concorde ihren letzten Flug für Air France.