Am Sonntag werden die Oscars vergeben – trotz Corona mit einer standesgemäßen Show. Viele Fragen rund um die Preisverleihung sind offen, die Erwartungen hoch wie selten zuvor.
Stuttgart - Die Academy Awards oder Oscars sind die größte Unterhaltungsshow der Welt – noch. Sie stecken in einer Krise. Und wie bei den Kinos hat die Pandemie nur verschärft, was vorher längst da war. Die Oscar-Show hat 44 Prozent ihrer Zuschauer verloren zwischen 2014 und 2020 – vor einem Jahr erlebten noch 23,6 Millionen Zuschauer mit, wie der koreanische Film „Parasite“ triumphierte. 2021 hat die Konkurrenz bereits herbe Rückschläge eingesteckt: Die 63. Grammy Awards erreichten am 14. März rund 9,2 Millionen Zuschauer, 53 Prozent weniger als 2020, die 93. Golden Globes am 28. Februar mit 6,9 Millionen sogar 60 Prozent weniger als 2020.
Bei den Oscars kommt dazu, dass in der Kategorie „Bester Film“ starke Filmkunst nominiert ist, aber kein einziger großer Blockbuster, der die Zuschauer in Massen anziehen würde wie etwa 1998 „Titanic“. Kaum jemand kennt die Nominierten, nicht einmal jene, die aufs Kino nicht angewiesen waren. Laut der „New York Times“ hat eine Umfrage unter Filmfreunden im März ergeben, dass nur 18 Prozent „Mank“ kannten, eine im Dezember 2020 auf Netflix gestartete Hommage ans alte Hollywood. „Mank“ ist ein Film des Star-Regisseurs David Fincher („The social Network“, „House of Cards“) und in zehn Oscar-Kategorien nominiert.
Soderbergh macht sich keine Illusionen
Trotz der Umstände haben sich drei Menschen bereit erklärt, die 93. Academy Awards zu inszenieren: Der Regisseur und Oscar-Preisträger Steven Soderbergh („Traffic“), die Filmproduzentin Stacey Sher („Django Unchained“) und der kanadische Schauspieler Jesse Collins. Soderbergh macht sich keine Illusionen: „Man muss sich der Tatsache hingeben, dass man eine menschliche Piñata ist“, hat er jüngst der „L. A. Times“ gesagt. Piñatas sind bunte, mit Süßigkeiten gefüllte Figuren, die Kinder bei Kindergeburtstagen mit Stöcken schlagen, um an den Inhalt zu kommen. „Wenn man sich dem hingibt, wird man frei und kann tun, was man möchte.“
Seit Dezember arbeitet das Trio an der Quadratur des Kreises, unter Pandemie-Bedingungen und ohne Publikum eine standesgemäße Show auf die Beine zu bringen. Dabei geht es neue Wege in der Bahnhofshalle der Union Station in Los Angeles und im Dolby Theatre in Hollywood. „Man wird sich fühlen wie in einem Kinofilm, in dem auch Preise verliehen werden, ganz anders als bei einer typischen Preisverleihung“, verspricht Soderbergh in der „L. A. Times“.
Dankesreden vom Sofa sind verboten
Eines wollen sie um jeden Preis vermeiden: Die Video-Konferenz-Anmutung, die etwa die Golden Globes geprägt hat. Zoom-Dankesreden vom heimischen Sofa sind streng untersagt. „Es sind die verdammten Oscars, kein Webinar“, sagt Soderbergh. Nach Protesten, weil viele Filmschaffende wegen der Pandemie nicht nach L.A. reisen können, wurde nun ein zweites Oscar-Gala-Zentrum in Großbritannien eingerichtet und weltweit 20 weitere Übertragungssorte.
Die Erwartungen sind riesig – und die Befürchtungen. Beim Fernsehsender ABC, der die Oscar-Gala seit 1976 überträgt, geht die Sorge um, die Show könnte erstmals unter die 20 Millionen-Marke fallen und vom Zugpferd zum teuren Klotz am Bein werden. Die Disney-Tochter ABC hat einen Zehn-Jahres-Vertrag mit der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, sie bezahlt knapp eine Milliarde Dollar für die Übertragungsrechte bis 2028. Die Werbeeinnahmen sind das bislang wert, um die 2 Millionen Dollar kostet ein 30-Sekunden-Spot während der Oscar-Gala. Sinkt die Zuschauerzahl erheblich, dürfte das nicht zu halten sein. Der Medien-Manager Ted Harbert, früher Präsident der TV-Sender NBC und ABC, unkt in der „L. A. Times“: „Preisverleihungen haben die Patina einer 100 Jahre alten Kerze, und alle Politur dieser Welt wird den alten Glanz nicht wieder zurückbringen.“
Auch für die Kinobranche geht es um viel. Dank der Impfkampagne in den USA öffnet sie dort ihre Häuser wieder und hofft nun darauf, dass die Oscar-Show dem entwöhnten Publikum Lust auf die große Leinwand macht. „Unser Slogan ,Bring your Movie Love‘ ist eine ehrliche Bitte“, sagt Soderbergh, an dessen Liebe zum Kino wohl niemand zweifelt – „und eine Aufforderung zum Handeln.“