VfB-Fans, DFB-Pokalspiel beim FC 08 Homburg: Teil regionaler Sportkultur Foto: Baumann

Es wird noch einmal hoch hergehen bei der Mitgliederversammlung des VfB Stuttgart an diesem Sonntag. „Aber der VfB braucht jetzt einen Neustart mit Besonnenheit“, kommentiert unser Autor Gunter Barner.

Stuttgart - Wahrscheinlich stimmt es ja, dass nach Max Frisch jede Krise etwas Produktives hat, sofern es gelingt, ihr den Charakter der Katastrophe zu nehmen. Der VfB Stuttgart ist abgestiegen, aber der Neckar fließt deshalb nichts rückwärts. Die Sonne geht jeden Morgen noch zuverlässig über dem Württemberg auf und die Fans strömen zu den Spielen der zweiten Liga, als sei der größte anzunehmende sportliche Unfall nie passiert. Und womit niemand rechnen konnte: Die Zahl der VfB-Mitglieder scheint weiter proportional zu den Hoffnungen zu wachsen, bald schon in die Beletage des deutschen Fußballs zurückzukehren.

Stolz und Würde

Das zeigt zweierlei: Der VfB ist mehr als ein Teil der Unterhaltungsindustrie mit mäßig begabten Hauptdarstellern in kurzen Hosen. Er ist ein identitätsstiftender Teil der lokalen und regionalen Sportkultur. Und er ist ein emotional verbindendes Element in einer Gesellschaft, die zunehmend Individualität und Egoismus zelebriert. Daraus leitet sich für die Häuptlinge auf dem Wasen aber auch eine besondere Verantwortung ab: Vor allem die, dem Verein eine Perspektive zu geben, die Stolz und Würde seiner Geschichte wieder gerecht werden kann.

Gut möglich, dass die letzten Mohikaner im weiß-roten Wigwam an diesem Sonntag bei der VfB-Mitgliederversammlung noch einmal heftige Prügel dafür beziehen, dass sie den sportlichen Niedergang nicht verhindert haben. Aber rational betrachtet haben sie sich im Sinne von Max Frisch nicht lange damit aufgehalten, die Sündenböcke zu brandmarken oder jede Schuld von sich zu weisen. Sie haben gemeinsam mit Finanzchef Stefan Heim und Marketing-Vorstand Jochen Röttgermann das getan, was man in den schweren Stunden nach dem Abstieg von ihnen erwarten konnte: im Eiltempo die Zukunft zu gestalten. Dass zunächst der neue Trainer kam, dann erst der Sportvorstand, wirkte zwar anachronistisch, gehorchte aber zuvorderst der Not, rasch wieder den Status der Handlungsfähigkeit zu erreichen. Dass es am Ende zwischen Jos Luhukay und Sportchef Jan Schindelmeiser zum Zerwürfnis kam, ist bitter, war aber nicht vorauszusehen.

Gegen alles und jeden?

Natürlich würden sich Teile der weiß-rote Glaubensgemeinschaft im Nachklang der Geschehnisse noch gern den einen oder anderen Skalp an den Gürtel heften. Aber wem sollte das jetzt nützen? Die Erfahrungen andernorts lehren, dass es auf dem zur Konsolidierung wenig hilfreich ist, den Verein erst in Trümmer zu legen. Streit und Diskussionen haben reinigende Wirkung und schärfen den Blick auf das Notwendige, dagegen reißen Wut und Hass nur Gräben auf. Ist es im Sinne des VfB zielführend, gegen alles und jeden zu sein? Der ehemalige S-21-Sprecher und Unternehmer Wolfgang Dietrich mag als Kandidat für das Präsidentenamt nicht allen in den Kram passen. Wenn jedoch Ultra-Gruppierungen die Diskussion mit ihm unter dem Hinweis verweigern, dass es zu viele offene Fragen um seine Person gebe, ist das ein Widerspruch in sich,der den Verdacht nahe legt, dass es ihnen mehr um die Sicherung ihres Einflusses auf den Verein gehen könnte, als um dessen Wohl. Denn unbestritten ist, dass die beste Medizin für den seit Jahren kränkelnden Patienten nun Kontinuität heißt. Und Dauerhaftigkeit verlangt eine kompakte Führungsmannschaft mit einem durchsetzungsfähigen und branchenkundigen Präsidenten, der nicht nur über Ziele spricht, sondern auch in der Lage ist, sie entschlossen anzustreben.

Der VfB braucht einen Neustart, der getragen wird von Besonnenheit und der Erkenntnis des großen deutschen Philosophen Ernst Bloch: Man muss ins Gelingen verliebt sein, nicht ins Scheitern.

gunter.barner@stuttgarter-nachrichten.de