Nach fünf Jahren wird im NSU-Prozess mit der Hauptangeklagten Beate Zschäpe ein Urteil erwartet. Foto: dpa

Nach fünf Jahren wird am Mittwochmorgen das Urteil im NSU-Prozess gesprochen. Gutachterstreit, Anwaltskrieg und Erinnerungslücken – was das jahrelange Gerichtsverfahren prägte.

Stuttgart/München - Am 11. Juli 2018 ist es endlich so weit: Es wird zu einem Urteil kommen. Vermutlich wird auch dieser Mittwoch beginnen wie all die anderen 437 Verhandlungstage. Früh am Morgen wird Beate Zschäpe vom Gefängnis Stadelheim ins sieben Kilometer entfernte Oberlandesgericht in München gefahren. Seit dem 6. Mai 2013 ist sie im NSU-Prozess dort zusammen mit vier weiteren Angeklagten im Gerichtssaal, wenn sich um 9.30 Uhr die Tür hinter der Richterbank öffnet. Der Senat um den Vorsitzenden Manfred Götzl betritt die Szenerie, rund 20 Verteidiger, die Bundesanwaltschaft und die Besucher erheben sich, wenn Götzl mit seinem fränkischen „Guten Morgen“ den Prozess eröffnet. Nun, an diesem 11. Juli ist Schluss. Das Wichtigste zum Verfahren im Überblick:

Die Vorwürfe

Beate Zschäpe ist als einziges überlebendes mutmaßliches Mitglied des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) angeklagt. Die Gruppierung NSU bestand aus Sicht der Anklage aus drei Personen. Neben Zschäpe waren dies Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt. Die drei sollen zehn Morde, eine Reihe von Raubüberfällen und zwei Bombenanschläge begangen haben, wobei Bönhardt und Mundlos die Taten ausgeführt haben. Beide leben nicht mehr. Als ihnen die Polizei näher rückte, erschoss Mundlos zuerst seinen Kompagnon und dann sich selbst. Zschäpe floh zunächst und stellte sich später. Die Mordopfer waren meist Griechen und Türken.

Die Rolle Zschäpes

Für die Medien ist Beate Zschäpe das Gesicht des Terrorprozesses, nach Ansicht der Bundesanwaltschaft ist sie die zentrale Figur des NSU. Sie soll ein gleichberechtigtes Mitglied der Gruppe gewesen sein und den beiden anderen Mitgliedern ermöglicht haben, die Taten auszuführen. Zschäpe wird daher nicht der Beihilfe am Mord angeklagt, sondern wegen Mittäterschaft, gerade so, als sei sie am Tatort mit dabei und aktiv gewesen. Juristisch ist das möglich, die Beweisführung dafür ist kompliziert. Die drei anderen Angeklagten werden wegen unterschiedlichen Unterstützungshandlungen angeklagt.

Die Anwälte

Vor allem um die Anwälte von Beate Zschäpe hat es immer wieder Verwirrung, Hickhack und Streit gegeben. Das Pflichtverteidiger-Trio Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm hatte Beate Zschäpe geraten, in dem Prozess zu schweigen. Im Sommer 2015 brach das Verhältnis zwischen Verteidigern und Mandanten. Die Anwälte Mathias Grasel und Hermann Borchert übernahmen die Verteidigung. Die Altverteidiger baten um Entlassung, das wurde vom Gericht abgelehnt. Zschäpe wird seitdem von zwei Anwaltteams vertreten, die kaum miteinander kooperieren.

Die Gutachter

Der Psychiater Henning Saß hält die Hauptangeklagte für voll schuldfähig und weiterhin gefährlich. Mit Zschäpe gesprochen hat er nicht. Zschäpes Altverteidiger haben daraufhin einen Gutachter bestellt, der die Methodik des Saß-Gutachtens in Zweifel zog. Die neuen Verteidiger haben den Gutachter Joachim Bauer beauftragt. Der konnte 16 Stunden mit Zschäpe sprechen. Er hält sie für krank und nur vermindert schuldfähig.

Die Akten

Es gibt rund 300 000 Seiten Ermittlungsakten, sie füllen mehr als 600 Ordner. Die Anklageschrift war 488 Seiten stark, die Plädoyers der Bundesanwaltschaft dauerten rund 22 Stunden. Wie dick das Urteil werden wird, steht noch nicht fest.

Die Geheimdienste

Besonders die Hinterbliebenen und ihre Anwälte haben in dem Prozess mehrfach darauf gedrungen, die fragwürdige Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex aufzuklären. Das hatte keinen Erfolg. Fest steht, dass Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos unter den Augen ihrer vermeintlichen Verfassungsschutz-Aufpasser untertauchen konnten.

Die Medien

Die Zuschauertribüne bietet Platz für 100 Personen, 50 Plätze sind für Medien reserviert. Neben den deutschen Journalisten sind auch viele ausländische, vor allem türkische Reporter interessiert. Mit zunehmender Prozessdauer ist das Interesse zurückgegangen.

Der Verhandlungsort

Fünf der Morde, die dem NSU zur Last gelegt werden, sind in Bayern begangen worden. Da das Oberlandesgericht in München über einen Staatsschutzsenat verfügt, sind die Taten dort angeklagt worden.

Die Zeugen

Rund 600 Zeugen und Sachverständige sind in dem Prozess befragt worden. Sie mussten sich dabei an Beobachtungen erinnern, die zum Teil schon Jahre zurücklagen. Unter anderem wurden 20 Nachbarn des NSU-Trios intensiv befragt.

Die Kosten

Das Gericht hat die Kosten für einen Verhandlungstag einmal mit rund 150 000 Euro beziffert. Folgt man dieser Rechnung, so hat der Prozess insgesamt mehr als 65 Millionen Euro gekostet. Neben den fünf Richtern müssen auch Protokollführer, Dolmetscher und Wachtmeister bezahlt werden. Außerdem werden Zeugen entschädigt und die Sachverständigen entlohnt, hinzu kommen Haftkosten und der Transport der Angeklagten. Jeden Morgen, von Stadelheim nach München – bis sich um 9.30 Uhr die Türe hinter der Richterbank öffnet.