Im Hinspiel in Dortmund gewann der BVB mit 3:2 – wer gewinnt am Samstag in München? Foto: dpa

Borussia Dortmund feiert einen Duselsieg gegen Wolfsburg, die Bayern verschenken zwei Punkte in Freiburg. Was hat es zu bedeuten, dass der BVB am Samstag als euphorisierter Tabellenführer beim verärgerten Rekordmeister antritt?

Stuttgart - Die Berechnungen der Deutschen Fußball-Liga (DFL) laufen noch und dürften zu einem neuen Rekordergebnis führen. Nicht auszuschließen, dass der deutsche Clásico, der Kampf der Kulturen, das ultimative Duell zwischen Mia-san-mia und echter Liebe diesmal sogar in mehr Länder übertragen wird, als auf diesem Planeten bisher bekannt waren. Nur noch sechsmal schlafen.

FC Bayern gegen Borussia Dortmund – das ist seit vielen Jahren das Topspiel des deutschen Fußballs. Neben denkwürdigen Bundesliga-Duellen gab es drei Pokalfinals in Berlin (2012, 2014, 2016) und ein Champions-League-Endspiel in Wembley (2013), nur das erste dieser Alles-oder-nichts-Spiele gewann die Borussia. Seit inzwischen sechs Jahren währt die Münchner Totaldominanz – nun erfährt die bayerisch-westfälische Rivalität endlich einen weiteren Höhepunkt: Im 100. Aufeinandertreffen beider Clubs wird am Samstag (18.30 Uhr) die Vormachtstellung neu verhandelt. Am Wochenende sind die Rollen getauscht worden: Die euphorischen Dortmunder stehen wieder an der Tabellenspitze, die verärgerten Bayern dahinter.

Borussia Dortmund – Tabellenführer im Glück

Ein Urknall ging durchs mit mehr als 80 000 Menschen besetzte Dortmunder Stadion, als Paco Alcacer in der ersten Minute der Nachspielzeit einen Freistoß von der Strafraumgrenze zum 1:0 in die Mitte des Wolfsburger Tores drosch. Und es gab endgültig kein Halten mehr, als der BVB-Stürmer kurz darauf auch noch das 2:0 erzielte. „Ich nenne ihn Matador, im Sinne von Killer“, sagte Mittelfeldspieler Axel Witsel über den Spanier, der mit nun fünf Treffern in der Nachspielzeit einen Ligarekord aufgestellt hat.

Der schmeichelhafte Sieg gegen den VfL Wolfsburg in Kombination mit dem kargen 1:1 der Bayern beim SC Freiburg hat dazu geführt, dass die Dortmunder mit zwei Punkten Vorsprung nach München reisen werden. Was das bedeutet? Alles Interpretationssache.

„Die Tabellenspitze interessiert uns nicht“, sagte vor drei Wochen Außenverteidiger Marius Wolf, als der BVB trotz des 3:1 gegen den VfB Stuttgart Platz eins an die Bayern weiterreichen musste. Mit 6:0 hatten die den 1. FSV Mainz 05 überrollt. Ein Vorteil könne es sein, so lautete beim BVB der Tenor, nach einem halben Jahr an der Spitze nicht mehr die Gejagten, sondern die Jäger zu sein. Dann ist es jetzt ein Nachteil, dass es wieder umgekehrt ist? Keineswegs, findet BVB-Chef Hans-Joachim Watzke: „Psychologisch ist es für uns gut, als Tabellenführer nach München zu fliegen.“

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Außer Frage steht, dass es den Dortmundern nach den drei späten Siegen gegen den VfB, bei Hertha BSC (3:2) und nun gegen Wolfsburg an Rückenwind nicht fehlen wird. Sportdirektor Sebastian Kehl spricht von „einem Extraschub“ – der sich dadurch verstärken soll, dass Scarlett Gartmann, die Freundin von Marco Reus, die gemeinsame Tochter rechtzeitig vor dem Gipfeltreffen zur Welt brachte. Gegen Wolfsburg fehlte der Kapitän, in München wird er wieder dabei sein. „Wir fahren dorthin, um zu gewinnen“, sagt Kehl – ahnt aber auch: „Die Bayern werden gierig sein.“

FC Bayern München – Tabellenzweiter im Pech

Im Fußball entscheiden Zentimeter – ausnahmsweise auch einmal zu Ungunsten des FC Bayern. Während Alcacers abgefälschter Freistoß irgendwie den Weg über die Linie fand, prallte fast zeitgleich rund 500 Kilometer weiter südlich der Kopfball des Münchner Nationalspielers Leon Goretzka vom Innenpfosten des Freiburger Tores zurück ins Spielfeld. Also blieb es beim 1:1 – ein Ergebnis, über das Bayern-Trainer Niko Kovac „nicht nur enttäuscht, sondern verärgert“ war.

Warum der Rekordmeister vor dem vielleicht vorentscheidenden Duell um die Meisterschaft nicht die richtige Einstellung fand? Warum die Bayern so leichtfertig die Tabellenführung wieder abgegeben haben, die sie nach einem zwischenzeitlichen Neun-Punkte-Rückstand über Monate hinweg zurückerkämpfen mussten? „Das wüsste ich auch gerne“, sagte Sportdirektor Hasan Salihamidzic. Womöglich hätten ja die Clubbosse Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge eine Erklärung liefern können – doch rauschten sie so mürrisch wie wortlos davon. Ein untrügliches Zeichen: Alarmstufe Rot, ausgerechnet jetzt.

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Ein Duselsieg des BVB nach mäßiger Leistung auf der einen Seite, eine Menge vergebener Torchancen und zwei verschenkte Punkte auf der anderen – es ist eine ungewohnte Kombination, die nun zu einer ebenso ungewohnten Ausgangslage geführt hat. Die Rolle des Jägers mag für die Dortmunder gewohnt sein, sie entspricht aber nicht dem Münchner Selbstverständnis. „Das heißt, dass wir eine Reaktion zeigen und beweisen müssen, dass wir unbedingt deutscher Meister werden wollen“, sagte Salihamidzic.

Man könnte fast vergessen, dass die Bayern vor dem großen Bundesliga-Showdown ein weiteres Pflichtspiel zu bestreiten haben. Für den Zweitligisten 1. FC Heidenheim ist das DFB-Pokalviertelfinale an diesem Mittwoch (18.30 Uhr) in der Münchner Arena das Spiel der Spiele – dem Gastgeber dient es vor allem dafür, neue Spannung aufzubauen und sich auf Dortmund einzustimmen. Am Samstag werde man wieder einen ganz anderen FC Bayern zu sehen bekommen, verspricht Verteidiger Mats Hummels, „definitiv“.

Für die Fans der Dortmunder Borussia ist die Sache aber schon jetzt entschieden. Deutscher Meister werde „nur der BVB“, sangen sie am Samstag und erteilten ihrer Mannschaft den altbekannten Auftrag: „Zieht den Bayern die Lederhosen aus!“ Auf dem Rasen hüpfte auch Axel Witsel im Takt der Gesänge – auch wenn er sie nicht recht verstand. „Ich glaube, es hatte irgendwas mit Hose zu tun“, berichtete der Belgier anschließend, „aber meine Kollegen werden wir mir das sicher noch erklären.“