Wegen der Flüchtlingskrise haben einige Schengen-Staaten wieder Grenzkontrollen eingeführt. Foto: dpa

Die EU-Kommission befürchtet dramatische Folgen für Europas Wirtschaft, wenn wieder Grenzkontrollen eingeführt würden.

Brüssel - Brüssel - Ein Europa voller Schlagbäume würde die Wirtschaft stark beschädigen. Das ist das Ergebnis einer Studie der Brüsseler EU-Kommission, die vermutlich am heutigen Freitag veröffentlicht wird. Einbußen von bis zu 18 Milliarden Euro pro Jahr für die Wirtschaft in den 28 Mitgliedstaaten (0,13 Prozent der Wirtschaftsleistung im Schengen-Raum) seien möglich, heißt es in dem Papier, das der Redaktion vorliegt. Einige Experten beziffern die Schäden auf bis zu 1,4 Billionen Euro bis 2026.

Allein die Kosten für Grenzkontrollen werden auf mehrere Milliarden Euro geschätzt. Die eigentlichen Belastungen kämen auf Pendler zu, die bei der Fahrt zur Arbeit eine Grenze überqueren müssen. Und auf LKW-Fahrer – insgesamt dürften 1,7 Millionen Arbeitnehmer Zeit bei Kontrollen verlieren – ein Verlust für deren Arbeitgeber von bis zu 4,5 Milliarden Euro pro Jahr.

Auf Europas Tourismus-Industrie kämen laut EU-Kommission Einbußen zwischen zehn und 20 Milliarden Euro pro Jahr zu, weil die gemeinsame europäische Visa-Politik ebenfalls zersplittert würde. „Die Wiedereinführung von Grenzkontrollen würde gewaltige ökonomische politische und soziale Kosten nach sich ziehen“, warnt die Brüsseler Kommission in ihrem Papier.

Griechenland droht mit Veto

„Das Szenario erscheint realistisch“, kommentierte der CSU-Europa-Abgeordnete Markus Ferber gegenüber unserer Zeitung. „Was die Kommission da präsentiert, ist ein Blick in den Abgrund, den die Mitgliedstaaten ernstnehmen sollten.“ Der Finanzexperte warnte allerdings noch vor weiteren Konsequenzen. Gäbe es wieder Grenzkontrollen, dürfte vor allem die Wirtschaft ihre bisherige Arbeitsweise der ausgelagerten Produktionsstätten überdenken. Viele Hersteller könnten dann nicht länger auf Zulieferer zum Beispiel in den östlichen Mitgliedstaaten setzen. In der Folge müssten dort Betriebe geschlossen und wieder nach Deutschland geholt werden. „Das würde zu erheblichen und gravierenden Verschiebungen zu Lasten der Ost-Staaten führen“, befürchtet Ferber. Zuvor hatte bereits der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, gewarnt: „Wer Schengen killt, wird im Endeffekt den Binnenmarkt zu Grabe tragen.“

Dass die Kommission mit der Studie Druck auf die EU-Staats- und Regierungschefs machen will, die am Montag mit ihrem türkischen Amtskollegen in Brüssel zusammenkommen, ist deutlich erkennbar. Man erhofft sich, dass sich alle EU-Staaten auf den Fahrplan zur Sanierung des Schengen-Systems einigen. Demnach solle Griechenland bis Ende März massive Unterstützung durch die Grenzschutzagentur Frontex erhalten, um die Außengrenzen zu Land, zu Wasser und in der Luft wieder zu sichern. Für Mitte Mai ist ein erster Status-Bericht vorgesehen. Im Herbst will Brüssel die neue gemeinsame Grenz- und Küstenwache einsetzen. Spätestens im November könne man dann in der EU die Grenzen wieder öffnen, weil die Außengrenzen dicht seien.

Doch ob die derzeit neun Schengen-Staaten, die die Übergänge wieder kontrollieren (darunter auch Deutschland), mitmachen, ist offen. Juncker müsste dazu unter anderem Ungarn, Österreich und Slowenien überzeugen. Sie gehören der Koalition der Balkanrouten-Anrainer an, die Österreich geschmiedet hat, um die Flüchtlinge in Griechenland an einer Weiterreise nach Westeuropa zu hindern. Nicht absehbar ist auch, wie sich Athens Premierminister Alexis Tsipras am Montag verhalten wird. Er hatte mit einem Veto gedroht für den Fall, dass sein Land weiter mit den Flüchtlingen alleingelassen wird.