Jella Lepman (links) mit Astrid Lindgren (2. v. rechts) auf dem Kongress des International Board on Books for young People am 1. 1. 1956 in Stockholm. Foto: dpa/Familie Lepman-Mortara

Wie kann man Kinder, die nur Krieg und Hass kennen, in bessere Zeiten führen? für die in Stuttgart geborene Journalistin Jella Lepman war nach dem Zweiten Weltkrieg klar: Lesen bildet Herz und Verstand.

München - Jella Lepman setzte sich dafür ein, dass ihre Freundin Astrid Lindgren in Deutschland veröffentlicht wurde. Sie inspirierte Erich Kästner zu seinem Pazifismusbuch „Die Konferenz der Tiere“. Sie war vertraut mit dem Verfassungsvater Theodor Heuss und sie gründete die Internationale Jugendbibliothek in München, die größte weltweit, wie es heißt. Trotzdem sie ist eine in ihrer Heimat weitgehend vergessene jüdische Journalistin. Vor 50 Jahren, am 4. Oktober 1970, starb Jella Lepman in ihrer Wahlheimat Zürich. Wer war diese Frau, die um der Kinder, der Bücher und des Friedens willen in das Land zurückkehrte, aus dem ihre Mitmenschen sie vertrieben hatten?

Lepman wurde 1891 in Stuttgart geboren, arbeitete dort als Redakteurin und trat in die FDP-Vorgängerin DDP ein, wo sie den Journalistenkollegen und späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss kennenlernte, mit dem sie für den Reichstag kandidierte. Als Jüdin war sie gezwungen, 1936 vor der Verfolgung durch die Nazis nach England zu emigrieren, wo sie für die BBC arbeitete und später für die US-Botschaft in London.

Sie inspirierte Erich Kästner

Als es nach dem Krieg um die Reeducation ging, die Umerziehung der Deutschen, schickte man Lepman als „Special Adviser for Women’s and Youth Affairs“ nach Deutschland zurück. Dort lernte sie als stellvertretende Chefredakteurin der neugegründeten Zeitschrift „Heute“ den Schriftsteller Erich Kästner kennen. Ihm schlug sie ein Buch über vernunftbegabte Tiere vor, nachdem sie von zahlreichen gescheiterten Konferenzen in Nachkriegsdeutschland ernüchtert war – die Idee für die „Konferenz der Tiere“ war geboren, Kästners Roman von 1949.

Ihre eigentliche Berufung fand Lepman aber in etwas anderem: „Wir suchen nach Wegen, um die Kinder in Deutschland mit den Kinderbüchern anderer Nationen bekanntzumachen“, schrieb sie an Regierungen in 20 Ländern. Das erzählt die Journalistin in ihren zum 50. Todestag neu aufgelegten Erinnerungen „Die Kinderbuchbrücke“. In der Welt der Militärs behauptet sich die zweifache Mutter und lernt offenbar mühelos Größen aus Politik und Gesellschaft kennen, freundet sich an mit Eleanor Roosevelt, der Witwe des amerikanischen Präsidenten.

Ein Schutzraum für Kinder

Überall bittet sie um Buchspenden für die Kinder im zerstörten Deutschland und kann dort schließlich 1946 die erste internationale Veranstaltung nach dem Krieg eröffnen: Mehr als eine Million Menschen besuchen die Internationale Jugendbuchausstellung in München. Es kommen Kinder, wie Lepman schreibt, „denen Hexen und Teufel, Menschenfresser und Bösewichte in vielfacher Gestalt begegnet waren“ – real, im Krieg. Die Ausstellung tourt durchs Land und bietet Kindern einen neuen Schutzraum: „Da ist ja Friede“ – der Ausruf einer kleinen Berlinerin bewegt Lepman zutiefst.

Aus der Ausstellung entsteht schließlich die Internationale Jugendbibliothek (IJB), die heute ihren Sitz auf Schloss Blutenburg in München hat. „Es war ihr wichtig, dass Kinder- und Jugendliteratur ernstgenommen wird“, sagt IJB-Sprecherin Julia Jerosch, „dass sie gleichwertig mit Erwachsenenliteratur ist.“ Auch Bayerns Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) würdigt Lepman: „Jella Lepmann gehört für mich zu den Pionierinnen der interkulturellen Bildungsarbeit. Sie hat Kindern und Jugendlichen mit ihren Büchern und ihrer Idee einer internationalen Jugendbibliothek das gegeben, was nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs so notwendig war: geistige Nahrung, kulturelle Förderung, einen Ort der Freude und der Fantasie, des Respekts und der Völkerverständigung.“

Aus Kinderperspektive denken

Er sei „stolz darauf, dass diese weltweit einzigartige Einrichtung mit ihrem großen Schatz an Kinder- und Jugendliteratur und ihrem international anerkannten Forschungszentrum in Bayern zu Hause ist. Jella Lepmann hat die Weichen für eine Aufwertung der Kinder- und Jugendliteratur, ja der Kindheit als wichtige Lebensphase gestellt.“

„Sie hat aus Kinderperspektive gedacht, sie hat international gedacht“, ergänzt Jerosch. 1953 gründete Lepman IBBY, das Internationale Kuratorium für das Jugendbuch, das mehr als 80 nationale Sektionen hat und den Hans-Christian-Andersen-Preis vergibt, die höchste Auszeichnung für Kinderbuchautoren und -illustratoren.

In Deutschland fast vergessen

In Kanada erscheint zu ihrem Todestag eine Biografie, „The Lady with the Books“ („Die Dame mit den Büchern“) – und wie groß ist die Erinnerung in ihrer Heimat Deutschland? Dort ist ihr Name trotz der Neuauflage ihrer Erinnerungen vor allem Experten ein Begriff. Vielleicht liege es daran, „dass sie gleich nach dem Krieg als Frau, als Jüdin, als Nichtmünchnerin nicht so wahrgenommen wurde“, vermutet Jerosch als Grund für die fehlende Erinnerung an Lepman.

Mit Mitte 60 verließ sie Deutschland wieder und zog nach Zürich, „weil sie nicht in Deutschland bleiben wollte“. Belege für Anfeindungen gebe es nicht, sagt Jerosch. Dennoch: Die Frau, die durch Bücher Frieden stiften wollte mit Kindern und für sie, ging fort aus ihrem Geburtsland und wurde vergessen – anders als das, was sie hinterließ.

Literatur: Jella Lepman: Die Kinderbuchbrücke. Verlag Antje Kunstmann, München, 303 Seiten, 25 Euro, ISBN: 978-3-95614-392-2. Kathy Stinson: The Lady with the Books, Kids Can Press, Toronto, 32 Seiten, CAD $19,99, ISBN: 978-1-5253-0154-4