Benimmregeln nicht nur für den Tisch, sondern auch für das Internet? (Symbolbild) Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Benimmregeln gelten heute bei vielen als antiquiert. Doch es geht um mehr als gute Tischmanieren. Könnte in Zeiten verbaler Entgleisungen in den sozialen Medien ein bisschen mehr Knigge helfen?

Zwickau/Berlin - Wer bei Knigge nur an steife Etikette-Regeln denkt, hält die Hinweise des Freiherrn vermutlich für hoffnungslos veraltet. „Dabei ist Knigge absolut zeitlos und hilft uns dabei, respektvoller miteinander umzugehen“, ist Silke Näser überzeugt. Die Frau aus dem sächsischen Zwickau ist eine von der Industrie- und Handelskammer zertifizierte Business-Knigge-Trainerin.

Regelmäßig bringt Näser Schülern moderne Umgangsformen bei und erklärt, wie sie bei einem Bewerbungsgespräch auftreten sollten, um zu überzeugen. Für Unternehmen gibt die Trainerin seit 2010 Seminare mit dem Titel „Manieren statt Blamieren“. Dabei gehe es aber nicht allein darum, wie man Messer und Gabel richtig hält. Tischmanieren seien vielmehr ein Ausdruck des Respekts. Gleiches gelte für Kleidung oder Begrüßung, meint Näser.

Knigge-Kurs für Kindergeburtstage

„Der erste Eindruck ist unser Aushängeschild“, so die Trainerin. Selbst Kinder könnten in ihrer Knigge-Akademie schon lernen, worauf es bei Tisch ankomme. Der spezielle Knigge-Kurs werde besonders gern für Kindergeburtstage gebucht. „Aber das alles passiert in einem lockeren Rahmen, ich mache keine Benimm-Schule“, betont das Mitglied der Deutschen Knigge-Gesellschaft.

Dem Verein gehören bundesweit mehr als 1000 Mitglieder an, die ihr Umfeld für die Ideale von Adolf Freiherr von Knigge (1752-1796) begeistern wollen, sagt der Vorsitzende der Knigge-Gesellschaft.

Clemens Graf von Hoyos schult als Knigge-Trainer vor allem Nachwuchs-Führungskräfte in Sachen Umgangsformen. „Knigge gilt manchen als antiquiert. Dabei ist Knigge eine Geisteshaltung, die von Wertschätzung und Rücksichtnahme geprägt ist“, sagt der 29-Jährige, dem es die Thematik schon seit Schulzeiten angetan hat.

Atmosphäre des Wohlfühlens

Das Miteinander sei Knigge wichtig gewesen, wie seine soziologische Abhandlung „Über den Umgang mit Menschen“ von 1788 belege. Die eigentlichen Benimmregeln machten dabei nur einen kleinen Teil aus. Bei Knigge gehe es vielmehr darum, eine Atmosphäre des Wohlfühlens zu schaffen. Das mache schon aus betriebswirtschaftlichem Kalkül Sinn, weil Wertschätzung in der Mitarbeiterführung oder gegenüber Geschäftspartnern zu besseren Ergebnissen führe, so Hoyos.

Knigge habe vor mehr als 200 Jahren Alltagsbeobachtungen soweit abstrahiert, dass sie auch heute noch Gültigkeit besäßen. Das gelte besonders in Zeiten sozialer Medien. „Diese abstrakte Form der Kommunikation führt dazu, dass wir keine unmittelbare Reaktion zu fürchten haben.“ Vor dem Rechner sitzend, sehe man sein Gegenüber nicht mehr, könne sich damit auch nicht mehr einfühlen. Das wiederum führe dazu, dass manche Menschen den Grundsatz „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu“ vergessen. Ein bisschen mehr Knigge könne da sicher helfen, meint Hoyos.

„Netiquette“ bereits in den 90er Jahren erfunden

Auch der Medienwissenschaftler Martin Emmer plädiert für die Vermittlung von Verhaltensregeln in der digitalen Welt. „Digitale Bildung gehört zu den ganz zentralen Herausforderungen unserer Zukunft“, sagt der Professor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Mediennutzung an der Freien Universität Berlin. Einen Anfang bilde die so genannte „Netiquette“, mit der man bereits in den 90er Jahren neue soziale Umgangsformen für die Internetnutzung kodifiziert habe.

Inzwischen sei Social Media jedoch so tief in den Alltag eingedrungen, dass es neue Kompetenzen brauche. Darunter auch solche, über die früher nur Experten verfügen mussten. Dazu gehören laut Emmer das Prüfen von Quellen oder das Abschätzen von möglichen rechtlichen und sozialen Folgen öffentlicher Äußerungen. „Hier sind Schulen und Eltern genauso in der Verantwortung wie Wissenschaft, politische Bildung und Medien“, ist der Wissenschaftler überzeugt.

Es stimme, dass das Posten von Beiträgen in einer anonymen Öffentlichkeit Hemmungen reduzieren könne. „Allerdings sollte man vorsichtig damit sein, die Schuld an Mobbing, Hass und Beleidigungen alleine den sozialen Medien zu geben“, warnt der Experte. Derartige Dinge habe es auch früher schon gegeben. Diese seien jedoch meist nicht öffentlich gewesen und damit weitgehend unsichtbar geblieben.