Wabissa Mohawesh hat sein dickes Wörterbuch stets in Griffweite. Foto: Caroline Holowiecki

Der Syrer Wabissa Mohawesh ist 2014 vor dem Islamischen Staat geflohen. Sein Weg nach Deutschland war geprägt von Rückschlägen, aber auch Unterstützung von Fremden. Nun ist er angekommen, spricht gut Deutsch und arbeitet an einer Schule.

Kaltental/Möhringen - Es ist der 23. Dezember 2014, 17 Uhr, als Wabissa Mohawesh den Hauptbahnhof jener Stadt erreicht, von der er nur weiß, dass hier Mercedes herkommt. Er geht die Königstraße hinauf, landet vor dem leuchtenden Christbaum. „Wow! Die Leute haben ein gutes Leben“, sagt er sich. Er sieht asiatische, dunkelhäutige und arabische Menschen. „Guck mal, wie New York“, sagt er zu einem Landsmann, den er im Zug kennengelernt hat. Dann erblickt Wabissa Mohawesh zwei Polizisten. Er stellt sich auf Englisch vor: „Guten Tag. Ich komme aus Syrien. Ich habe keine Papiere.“

Es ist das letzte Kapitel einer Geschichte, die ein Buch füllen könnte. Wabissa Mohawesh erzählt sie in seiner Wohnung in Kaltental. Er hat Obst, Nüsse und Johannisbeersaft serviert. Er streicht über den groben Stoff des Sofas, das er sich bei der Caritas gekauft hat. Die Essgruppe hat er geschenkt bekommen. Den stattlichen Fernseher hat er sich selbst geleistet. Seit zwei Jahren hat der heute 32-Jährige einen Vollzeitjob als Küchenhilfe an der Michael-Bauer-Schule. Dort hat man ihm auch die kleine Wohnung besorgt. „Ich bekomme viel Unterstützung von der Schule. Es fühlt sich an wie Familie“, sagt er. Vieles hat sich zum Guten gewendet für Wabissa Mohawesh, seit er seine Heimatstadt, die einstige IS-Hochburg Raqqa, verlassen hat. „Es ist viel passiert“, sagt er knapp.

„Ich habe gemerkt: ich habe hier kein Leben mehr“

Wabissa Mohawesh hat nach einem Arabisch-Studium als Oberstufenlehrer an einer Mädchenschule gearbeitet, bis die IS-Terrormiliz kam und verkündete, dass Frauen keinen Unterricht brauchen. Bis Köpfe auf der Straße lagen, wie er berichtet. „Der IS war für uns eine Katastrophe. Ich war fünf, sechs Monate arbeitslos, dann habe ich gemerkt: Ich habe hier kein Leben mehr. Alles ist schwarz mit dem IS“, sagt er.

„Das ist kein Islam“, sagt der Sunnit. Seine Mutter verkaufte ihren Schmuck, gab dem jüngsten von vier Brüdern das Geld. Zwei Monate dauerte Wabissa Mohaweshs Flucht aus Syrien. Allein drei Anläufe brauchte er, bis ein Schlauchboot ihn von der Türkei nach Griechenland brachte. Einmal scheiterte die Überfahrt am Wetter, einmal landete das Boot versehentlich wieder an der türkischen Küste. Immer wieder gab er Schleusern Geld – insgesamt 5000 Euro –, damit er in überfüllten Autos oder Kleinbussen Grenzen passieren konnte. „Mafia“, sagt er.

Weite Strecken durch Südeuropa legte Wabissa Mohawesh zu Fuß zurück. Tagsüber im Wald schlafen, nachts gehen, immer entlang der Schienen durch Mazedonien, über verschneite Berge in Serbien. Mehrfach wurde er verhaftet, in Belgrad, später an der ungarischen Grenze, kam in Camps. Mal durfte er weiter, mal machte er sich aus dem Staub. Er traf Fremde, die halfen, etwa die arme Familie im mazedonischen Nirgendwo, die ihm Brot und Bohnen servierte, ihn mit Geld in der Landeswährung versorgte und in einen Bus setzte, wie er lächelnd erzählt. Nach zwei Monaten landete er in Passau. „Ich war so glücklich, ich wollte nur meine Eltern anrufen“, erzählt er.

Er genießt es, wieder in einer Schule zu arbeiten

Wabissa Mohawesh drückt sich wortreich aus, sagt Dinge wie „Raqqa sieht aus wie Dresden. Vor 70 Jahren“. Vieles habe er sich über Videos beigebracht, bevor er überhaupt Kurse besuchen durfte. Eingestiegen sei er schließlich auf B1-Niveau. Geholfen habe ihm sein Grammatikstudium. „Im Orientierungskurs hatte ich die volle Punktzahl“, sagt er stolz. Aus einem Minijob in der Schulküche wurde die Vollzeitstelle. „Ich zahle seit zwei Jahren Steuern“, sagt er. Wabissa Mohawesh genießt es, wieder in einer Schule zu arbeiten, wenn auch in anderer Funktion, „mir gefällt die Atmosphäre“. Seine Aufenthaltsgenehmigung ist befristet.

Die nächsten Ziele: eine Entfristung und ein kostenpflichtiger Deutsch-Abendkurs. Wabissa Mohawesh ist ehrgeizig. Obwohl seine Sprachkenntnisse hervorragend sind, entschuldigt er sich, wenn ihm ein Begriff fehlt. Sein Wörterbuch liegt stets in Griffweite. Er mag Deutschland und berichtet von seinen deutschen Freunden, vom Schwimmen und Spaziergängen in der Natur. Er lächelt. „Alles ist in Ordnung.“