Nach langem Sparen und der Ausrichtung auf Auslandseinsätze soll die Bundeswehr wieder wachsen und sich auf die Landesverteidigung konzentrieren. Für Ministerin von der Leyen ist die „Trendwende“ überfällig. Mittwochabend warb sie dafür in Stuttgart.
Stuttgart - Ein Anfang ist gemacht. Seit vergangenem Jahr wachsen die deutschen Ausgaben für Panzer, Kampfjets und Soldaten wieder. Der Wehretat legt in diesem Jahr um gut acht Prozent zu.
Seit dem Ende der Sowjetunion war die Bundeswehr vor allem auf Auslandseinsätze ausgerichtet, wurde aber durch jahrelange Sparmaßnahmen und die Abschaffung der Wehrpflicht zunehmend ausgezehrt. Nun soll sie unter dem Eindruck der Annexion der Krim durch Russland nach den Plänen der Bundesregierung wieder eine Armee werden, die im Rahmen ihrer Bündnispflichten zur Landesverteidigung fähig ist. Hinzu kommen die neuen Gefahren durch den Terror und durch Angriffe im Cyberraum.
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Doch der neue Kurs stellt die Bundeswehr vor große Herausforderungen. Wenn es um Ausrüstung geht, muss das Geld rechtzeitig sinnvoll ausgegeben werden. Und nicht weniger anspruchsvoll ist die Aufgabe, auch das passende Personal für die Armee zu finden.
In der Stuttgarter Liederhalle diskutierte deshalb Chefredakteur Christoph Reisinger vor etwa 650 Besucherinnen und Besuchern mit der Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) über das Thema „Mit der Bundeswehr in die Offensive – warum?“.
Nahe der Liederhalle protestierten rund 60 Menschen für ein „Nein zum Krieg“. Sie kritisierten die deutsche Aufrüstung und forderten ein Ende der Bundeswehreinsätze im In- und Ausland.
Zur im Aufbau befindlichen Cybereinheit mit anvisierten 13 000 Dienstposten betonte von der Leyen: „Das ist das Thema der Zukunft.“ Alle modernen Waffensysteme seien Internet-basiert. Allein der Kampfjet Euro-Fighter verfüge über 80 Computer. Und jeden Tag würden in der Bundeswehr rund eine Million E-Mails verschickt. „Deshalb müssen wir uns da modern aufstellen“, sagte die Ministerin mit Blick auf drei Gefahrenherde: Cyberattacken wie die auf den Bundestag, das Einhacken in Waffensysteme und die Abwehr von Fake-News, Trollen und Bots.
Die Ministerin verteidigte die umstrittene Personalwerbung der Bundeswehr mithilfe von Image-Filmen („Mach, was wirklich zählt“): „Wir brauchen die Besten, aber um die wirbt die gesamte deutsche Wirtschaft.“ Deshalb verfolge das Verteidigungsministerium aber „nicht nur die Werbung nach draußen, sondern auch die Modernisierung im Inneren“. Der Wegfall der Wehrpflicht als Rekrutierungsmittel sei in etwa so, wie wenn bei den Betrieben die duale Berufsausbildung wegfiele. Es gehe darum angesichts der gestiegenen Aufgaben, auch beim Personal darum, die Lücken, die in der Vergangenheit entstanden sind, wiederaufzufüllen.
Die deutsche Armee soll größer werden. Von derzeit etwa 178 000 Soldaten soll die Bundeswehr in den kommenden sieben Jahren auf 198 000 Frauen und Männer anwachsen. Im Mai 2016 hatte von der Leyen deswegen das Ziel ausgegeben, bereits mehr Soldaten einzustellen. Eine Vorgabe, die nicht erfüllt wurde – vor allem, weil sich nicht genügend junge Menschen bei der Bundeswehr bewarben. Unterstützt durch eine Marketingoffensive soll die Vorgabe der Ministerin jetzt bis zu diesem Sommer erreicht werden.
Von der Leyen zeigt Verständnis für Trump
Wissen wollte Reisinger von der Wehrministerin, welche Dienstposten in den Streitkräften irrelevant seien. Im Zusammenhang mit Verfehlungen beim Ausbildungszentrum Spezielle Operationen im baden-württembergischen Pfullendorf hatte ein ungenannter Ministerialer „Spiegel online“ gesagt, man habe sich entschieden, vier Offiziere und Feldwebel deswegen „umgehend auf irrelevante Dienstposten zu versetzen, um einen Neuanfang zu ermöglichen“. Die Soldaten wurden auch in das in Calw stationierte Kommando Spezialkräfte versetzt, das für Spezialoperationen wie Geiselbefreiungen eingesetzt wird. Von der Leyen wich aus: „Der Vorgang ist noch nicht abgeschlossen.“ Man habe die Verantwortlichen für das „völlig inakzeptable und abstoßende Verhalten“ von ihren Positionen entfernt. „Die werden bei der Bundeswehr keine Karriere mehr machen.“
Die Verteidigungsministerin zeigte sich zuversichtlich, dass sie die gewünschte Erhöhung ihres Wehretats bekomme. „Da fühle ich mich von der Bundeskanzlerin und dem Finanzminister getragen.“ Allerdings werde es den nächsten richtigen Wehretat erst nach den Bundestagswahlen Ende 2017, Anfang 2018 geben. „Wir brauchen nicht auf einmal alles, aber brauchen einen verlässlichen Rahmen, um unsere Soldaten in den Einsatz schicken zu können.“ Deutschland habe wirtschaftlich und politisch eine große Bedeutung. „Da können wir uns bei der Krisenbewältigung nicht heraushalten“, sagte von der Leyen. Dazu gehöre längst nicht nur das Militär, sondern auch die Diplomatie oder die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung in anderen Ländern.
Von der Leyen zeigte Verständnis dafür, dass der neue US-Präsident Donald Trump darauf beharrt, dass die Europäer das vereinbarte Ziel, zwei Prozent der Wirtschaftskraft (BIP), für Militärausgaben aufwenden. Diese Marke bis 2024 zu erreichen sei „realistisch, besonnen und machbar“, meinte sie offensiv. Freilich schaffen das neben den USA nur vier europäische Nato-Staaten. Der deutsche Wehretat erreicht trotz Steigerung gerade einmal 1,2 Prozent vom BIP. Die neue US-Regierung hatte klargemacht, dass sie die Nato zwar weiter als zentralen Eckpfeiler ihrer Sicherheitspolitik ansieht, Trump drohte allerdings damit, nur diejenigen Verbündeten zu beschützen, die ihren vereinbarten Verteidigungsbeitrag auch wirklich leisteten. Die Ministerin riet zur Gelassenheit. „Wir dürfen Trumps Art zu provozieren nicht auf den Leim gehen.“ Die Europäer sollten mit Selbstbewusstsein reagieren. Schon US-Präsident Barack Obama hatte auf höhere Militärausgaben der Europäer beharrt. So hatten sich die Nato-Mitgliedsländer vor drei Jahren unter dem Eindruck der russischen Aggression gegen die Ukraine auf dem Nato-Gipfel in Wales verpflichtet, zwei Prozent vom BIP für Verteidigung auszugeben. Darüber wird in der Bundespolitik gestritten. Die Union will die Vorgabe erfüllen. Die Sozialdemokraten lehnen die Zahlendiskussion ab, sie wollen auch die Milliardenausgaben für die Aufnahme der Flüchtlinge berücksichtigt sehen.
Mit Blick auf die angespannten Verhältnisse zum Nato-Partner Türkei sprach sich die Ministerin gegen die Verbote von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker in Deutschland aus. „Wir dürfen nicht auf den Ton von Präsident Erdogan eingehen.“ Das sei eine gewollte Provokation. Vielmehr gelte es, mit der Opposition im Gespräch zu bleiben. „Sie hofft auf uns.“ Die Demokratie setze sich auf Dauer durch, sie sei die beste Regierungsform, gab sich die Ministerin zuversichtlich.