Sehr fesch: die Brüder Erwin und Kurt Foto: Brocke

Die neue Produktion „Vom Küssen und vom Fliegen“ im Stuttgarter Theaterhaus zeigt ein fragwürdiges Bild der fünfziger Jahre.

Stuttgart - Sie sind verklemmt. „Frauen wollen Dingen, Männer natürlich auch“, erklärt der Vater stotternd, „jetzt stell dich doch nicht so dumm an“. Fertig ist das Aufklärungsgespräch. Nun kann Erwin schauen, wie er Zugang zur Damenwelt bekommt – und das möglichst bald. Denn der Herr Papa wird die Fabrik jenem Sohn vererben, der als erster heiratet und einen Stammhalter vorweisen kann. Zwischen Erwin und Kurt beginnt ein absurder Wettlauf: Hauptsache heiraten, wen auch immer. So waren sie wohl, die fünfziger Jahre.

Vor knapp zwanzig Jahren brachte der Südwestrundfunk den Film „Vom Küssen und Fliegen“ heraus. Nun haben sich der Regisseur Hartmut Schoen und die Ausstatterin Gudrun Schretzmeier den Stoff erneut vorgenommen und im Theaterhaus auf die Bühne gebracht. Der Film wurde seinerzeit beim Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet für die beste Ausstattung. Auch im Theaterhaus sind die Kostüme ein Augenschmaus. Vor allem hat Gudrun Schretzmeier eine großartige Lösung gefunden für die ständigen Ortwechsel: Projektionen. Auf zwei Wände werden lustige Tapetendekors projiziert, Holzlatten markieren eine Scheune, Fachwerk die Dorfwirtschaft, dann wieder scheint man im Zug zu sitzen, die Landschaft saust vorbei.

Zwei Brüder mühen sich

Erzählt wird die Geschichte von Erwin (Yavuz Köroglu) und Kurt (Roman Roth), die in der Nähe von Stuttgart aufwachsen. Erwin macht eine Lehre in einem Unternehmen für Damenunterwäsche, der „Welt für Büstenhalter“, Kurt hilft beim Vater in der Buchhaltung mit – und versucht die flotte Sportlehrerin zu erobern. Mit Erfolg.

Die neue Theaterhausproduktion ist kurzweilig, wartet mit amüsanten Momenten auf und besticht durch viel Spaß am Spiel. Das Bild, das Hartmut Schoen von den Fünfzigerjahren skizziert, überrascht allerdings. Bei ihm haben die Frauen die Hosen an – und ziehen sie oft auch bereitwillig aus. Während sich die beiden jungen Männer schüchtern und unbeholfen dem weiblichen Geschlecht nähern, treten die Frauen hier offensiv und erstaunlich selbstbewusst auf.

Mehr als ein schickes Kostümspektakel?

„Vom Küssen und vom Fliegen“ wurde seinerzeit von einigen als „schicker Kostümfilm“ kritisiert, den man ohne Bauchschmerzen genießen könne. Auch die Bühnenfassung kommt recht oberflächlich daher und vermag nicht, das Lebensgefühl der fünfziger Jahre zu spiegeln. Die altjüngferlichen Tanten nörgeln zwar am flegelhaften Verhalten der Jungen herum, die Figuren sind aber erstaunlich unbeschwert und lassen in ihrem Verhalten nichts spüren von der Muffigkeit und Enge der Zeit. Nichts vermittelt, dass „hier alle lebendig begraben sind“, wie die aufgedrehte Sportlehrerin einmal schimpft. Dass die Buchhalterin seit Jahren auf ihren im Krieg verschollenen Verlobten wartet, ist auch nicht mehr als ein dahin geworfener Nebensatz.

Stephan Moos als Vater ist liebevoll und freundlich, die verhärmten Schwestern träumen von wildem Sex. So richtig passt das alles nicht zusammen und vermittelt ein unpräzises Bild der Fünfzigerjahre. Hinzukommt, dass bei den Texten, die sehr schlicht und ohne jeden Schliff sind, immer wieder Neudeutsch aufblitzt. Da wird von „brutal unsicher“ und „trashig“ gesprochen oder sagt Erwin „Ich muss an meinem Style arbeiten“. So leicht und fröhlich wie im Theaterhaus wird es im Nachkriegsdeutschland kaum zugegangen sein. Immerhin, wer nicht zu genau nachfragt, kann sich einen netten Theaterabend machen.