Der Rücktritt war aus Sicht seines Koalitionspartners und der politischen Gegner überfällig. Im letzten Moment findet Österreichs Kurz Worte, die ihn als Staatsmann ausweisen sollen. Hat er einen Plan?
Wien - Das Wort „Rücktritt“ vermied Sebastian Kurz. Er sprach lieber vom weniger endgültigen „Platz machen“. Es scheint, Kurz ist als Kanzler in Österreich gegangen, um zurückzukommen. In seiner siebenminütigen Rede versuchte er den Eindruck des Staatsmanns zu erwecken, der aus Verantwortung für seine Heimat handelt. „Es geht nicht um mich, es geht um Österreich.“ Die Frage, die sich dabei aufdrängte, war: Warum erst jetzt, warum nicht schon gestern oder vorgestern? Die hochbrisanten Korruptionsvorwürfe der Staatsanwaltschaft sind seit Mittwoch bekannt.
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Der 35-Jährige gab eine Antwort, die den „Schwarzen Peter“ den Grünen und den politischen Gegnern zuwies: Das immer konkretere Schmieden eine Anti-Kurz-Allianz aus vier Parteien habe zu einer Patt-Situation geführt, die er nun wie einen gordischen Knoten durchschlagen müsse. Es wäre ein Wagnis für das Land, die Regierungsverantwortung in die Hände solch unterschiedlicher Parteien zu legen, es drohe ein politisches Experiment, das am Ende von der Gnade der rechten FPÖ abhänge, so der ÖVP-Politiker Kurz. Was Kurz nicht erwähnte: Der anfänglich demonstrative Rückhalt durch die ÖVP-Spitzenpolitiker in den Bundesländern hatte Risse bekommen.
Bleibt zentrale politische Figur
Kurz bleibt jedoch Parteichef und wird künftiger Fraktionschef der ÖVP. Das stieß bei der Opposition auf größte Skepsis. Damit bleibe er eine zentrale politische Figur, meinte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Er sei nicht mehr Bundeskanzler, aber Schattenkanzler der Republik. Das „System Kurz“ bleibe erhalten.
Speziell Rendi-Wagner hatte zuletzt fast offensiv an einer Regierungsbildung gestrickt. Am Freitag und Samstag wagte sie sich weit aus der Deckung. Sie räsonierte ganz offen über ein Bündnis mit der FPÖ auf Bundesebene. Das ist eigentlich seit mehr als 30 Jahren ein absolutes No-Go für die SPÖ. Ihre Begründung „außergewöhnliche Situationen brauchen außergewöhnliche Handlungen“ hat wohl manchen Sozialdemokraten verschreckt.
Grüne hatten hoch gepokert
Für die Grünen scheint nun die Kuh vom Eis. Sie hatten hoch gepokert. Eine „untadelige Person“ müsse Kurz ersetzen, hatten sie gefordert. Vize-Kanzler und Grünen-Chef Werner Kogler kochte geradezu als er öffentlich noch einmal zusammenfasste, was ihn umtrieb: „Es geht nicht bloß um die Vorhalte der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Es geht darum, was aus diesen Chatnachrichten herausspringt (...) Nämlich, dass es im Machtzentrum der ÖVP ein erschütterndes, ein erschreckendes, ja eigentlich ein schauerliches Sittenbild gibt.“
Keine Frage: Die Grünen hätten Kurz am Dienstag beim geplanten Misstrauensvotum vom Thron gestürzt, um ihre eigene Identität als Anti-Korruptions-Partei nicht zu verraten. Jetzt deutet alles darauf hin, dass die ÖVP-Grünen-Koalition fortgesetzt wird - zu einem Zeitpunkt, zu dem die Grünen Lieblingsprojekte wie die öko-soziale Steuerreform oder ein Klimaticket für alle Busse und Bahnen ausverhandelt haben. Die Projekte werden nun Wirklichkeit. Kogler kann zufrieden sein.
Chancen auf ein Comeback?
Mit Außenminister Alexander Schallenberg als Kurz-Nachfolger können die Grünen sicher leben. Der 52-jährige Spitzendiplomat ist versiert und gewandt. Sein Name taucht in keiner der Ermittlungsakten auf. In Fragen der Migration ist allerdings kein Eingehen auf die Bitten der Grünen zu erwarten. Für humanitäre Gesten, wie die Aufnahme zumindest einiger afghanischer Flüchtlinge, war auch Schallenberg nicht zu haben.
Kurz, der demnächst erstmals Vater wird, hat weiterhin eine denkbar große politische Bühne. Alles entscheidend für seine Chancen auf ein Comeback an die Spitze des Landes wird sein, ob er wirklich die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft entkräften kann. Er hat sich in den vergangenen Tagen - und in seiner Rücktrittsrede - sehr zuversichtlich gezeigt, dass ihm das gelingen wird. Wer die 104 Seiten der Staatsanwaltschaft über das Team Kurz und dessen angebliche Machenschaften gelesen hat, weiß, dass das für Kurz die wohl schwerste Aufgabe der nächsten Monate wird.