41 Parteien sind in Deutschland zur Bundestagswahl zugelassen. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Immer mehr Menschen in Deutschland geben bei Wahlen kleineren Parteien ihre Stimme. Woran liegt das und ist es überhaupt sinnvoll? Und wer tritt in Stuttgart an?

Der Balken bleibt groß, egal auf welche Umfrage zur Bundestagswahl man derzeit blickt – würden die sogenannten „Sonstigen“ wie Volt & Co. ihre Kräfte bündeln, zögen sie mit ziemlicher Sicherheit ins Parlament ein. Gemeint sind die Kleinparteien, die aktuell nicht im Bundestag vertreten sind, weil sie allein zu wenige Stimmen vereinen. Neun sind in Baden-Württemberg zur Wahl zugelassen, können also mit der Zweitstimme gewählt werden. Vier davon schicken in den beiden Stuttgarter Wahlkreisen Direktkandidaten ins Rennen.

 

Die Zahl der Parteien, die zur Wahl stehen, hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Zwar sind es bundesweit gesehen bei dieser Wahl nicht mehr ganz so viele (41) wie noch 2021 (damals 53), trotzdem treten heute deutlich mehr Parteien an als bei den Bundestagswahlen vor der Jahrtausendwende. Dementsprechend holen sie auch immer mehr Stimmen, bei der vergangenen Wahl waren es 8,6 Prozent der Zweitstimmen.

Dabei scheint es doch relativ sinnlos zu sein, Parteien zu wählen, die ohnehin kaum eine Chance auf Bundestagsmandate haben. Ganz so einfach ist es aber nicht, erklärt Heinrike Rustenbeck von der TU Chemnitz. „Es stimmt natürlich, dass Stimmen für die Kleinparteien keine Repräsentation im Parlament finden“ – bekanntlich ziehen nur die Parteien in den Bundestag ein, die fünf Prozent der Zweitstimmen oder drei Direktmandate holen. Für die Parteien selbst zählt dennoch jede Stimme, denn es geht ums Geld. Wer mindestens 0,5 Prozent der Zweitstimmen erringt, profitiert von der staatlichen Parteienfinanzierung. „Dadurch kann sich eine Partie professionalisieren und hat langfristig gesehen eine bessere Chance auf mehr Stimmen“, sagt Rustenbeck.

Es seien aber nicht nur „Parteisoldaten“, die für die Kleinparteien stimmen, stattdessen seien die Gründe vielfältig. Zum einen profitieren die kleineren Parteien davon, dass die Parteienbindung über die Jahre abgenommen hat – so ist die SPD etwa längst keine „klassische“ Arbeiterpartei mehr. „Wenn die Wähler sich weniger an eine Partei gebunden fühlen, neigen sie eher dazu, kleinere Parteien zu wählen“, erklärt Rustenbeck. Besonders ausgeprägt sei dieses Phänomen bei Jungwählern, in diesen Altersgruppen hätten die kleineren Parteien beispielsweise bei der Europawahl punkten können.

Volt, MLPD, die PARTEI und Freie Wähler treten an

Ein weiterer Grund für die Wahlentscheidung ist laut Rustenbeck, dass manche Parteien spezifische Anliegen intensiver vertreten als die „großen“ Parteien. Klassisches Beispiel hierfür ist die Tierschutzpartei, deren Direktkandidaten in Stuttgart diesmal nicht zugelassen wurden. Andere Parteien könnten durch ihre spezielle Ausrichtung punkten – dazu gehört Volt Deutschland mit ihren Ablegern in ganz Europa. Die Partei tritt in Stuttgart mit der Rechtsanwältin Juliane Unbereit (Wahlkreis I) und dem Bauingenieur Markus Abele-Reichle (Wahlkreis II) an.

Manche Parteien punkten auch damit, an den Rändern des politischen Spektrums zu stehen. „Sie holen Wähler ab, denen die etablierten Parteien zu moderate Positionen vertreten“, sagt Rustenbeck. In diese Kategorie fällt die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland (MLPD), die sich links der Linken einsortiert und beispielsweise mit dem Slogan „Make Socialism Great Again“ wirbt. In Stuttgart schickt die MLPD die Krankenschwester Elfriede Schuler (Wahlkreis I) und die Elektroanlagenmonteurin Petra Braun (Wahlkreis II) ins Rennen.

Signalwirkung für die großen Parteien

Entscheidend kann auch das Motiv der Unzufriedenheit mit den großen Parteien sein. „Wer wählen will, aber sich nirgends wiederfindet, wählt eher mal eine Partei, die sich ‚treu geblieben’ ist“, sagt Heinrike Rustenbeck. Dann kommt beispielsweise die Satire-Partei „Die PARTEI“ ins Spiel, in Stuttgart vertreten durch Jasper Pannen (Wahlkreis I) und Franz-Xaver Lallinger (Wahlkreis II). Auch die Partei Freie Wähler tritt mit dem Anspruch an, eine liberal-konservative Alternative zu den Bundestagsparteien zu sein. Im Stuttgarter Wahlkreis I kandidiert Julian Korbel für sie, die Landesvorsitzende Sylvia Rolke tritt in Wahlkreis II an.

Aus diesen Faktoren ergibt sich für Heinrike Rustenbeck noch ein weiterer möglicher Grund, kleinere Parteien zu wählen: „Es ergibt sich ein präziseres Stimmungsbild in der Bevölkerung“, sagt die Politikwissenschaftlerin. „Und es ist ein Signal an die großen Parteien, die dadurch sehen, wohin ihre Wähler abwandern.“