Der Volleyball-Bundesligist hat um die Teilnahme an der Gruppenphase der Champions League hart gekämpft. Nun geht es ausgerechnet ins Corona-Risikogebiet nach Istanbul – und auch sportlich ist die Herausforderung riesig.
Stuttgart/Istanbul - Wie unberechenbar, unplanbar und unvorhersehbar das Corona-Jahr 2020 auch für den Sport ist, zeigt sich Tag für Tag. Und trotzdem ist das, was Volleyball-Bundesligist Allianz MTV Stuttgart rund um seine Teilnahme an der Champions League erlebt hat, besonders bizarr. „Wir leben in einer verrückten Zeit“, sagt Sportdirektorin Kim Renkema vor Teil eins der Gruppenphase, die an den nächsten drei Tagen in Istanbul ausgespielt wird, „das zeigt sich diese Saison auch in der Königsklasse.“
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Los ging es damit, dass nach dem Abbruch der Saison im März von der Volleyball-Bundesliga (VBL) nicht der zweimalige Viertelfinalist Allianz MTV Stuttgart, sondern der SSC Schwerin für die Gruppenphase der Champions League gemeldet wurde. Das führte in Stuttgart zu Unverständnis, Frust, Wut – und viel Arbeit. Weil nach dem Entschluss, trotzdem an der Königsklasse teilzunehmen, die erste Qualifikationsrunde geplant werden musste. Nach Wochen stand fest, dass es gegen Minchanka Minsk nur ein Spiel geben würde, im polnischen Lodz, an einem neutralen Ort. Kurz vor der Anreise sagte der Club aus Minsk wegen eines Corona-Falls ab. Und auch für die zweite Qualifikationsrunde fiel ein enormer organisatorischer Aufwand an, gespielt wurde gegen Dinamo Moskau aufgrund der komplizierten Corona-Lage aber nicht. Letztlich zogen dann doch beide Teams in die Gruppenphase ein – weil der bereits qualifizierte finnische Club LP Salo seine Teilnahme absagte. „Die Champions League ist diesmal nicht der Wettbewerb, den wir kennen und lieben“, meint Kim Renkema, „und trotzdem wollen wir unbedingt mitspielen.“ Auch wenn nun die nächste Reise ins Ungewisse folgt.
Vom Hotel geht es per Aufzug direkt in die Halle
Am Montag flog das Stuttgarter Team nach Istanbul, in ein Corona-Risikogebiet, in dem es einen Lockdown samt Ausgangssperre gibt. Im Gepäck hatte der MTV-Tross die schlechten Nachrichten aus Schwerin. Der SSC absolvierte vergangene Woche sein erstes Vorrunden-Turnier in Florenz, ebenfalls in einem Risikogebiet, und er kehrte mit fünf Corona-Infizierten (drei Spielerinnen, zwei Betreuer) zurück. Seither befindet sich die Mannschaft in Quarantäne, auch das Bundesliga-Heimspiel gegen Allianz MTV Stuttgart am 19. Dezember muss verlegt werden. „Was den Schwerinerinnen passiert ist, kann natürlich auch uns passieren“, sagt Kim Renkema, „wir sind uns der Risiken bewusst, die es gibt – trotz aller Sicherheitsmaßnahmen, die getroffen werden.“
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Vor dem Abflug ist jede Spielerin getestet worden, zudem wurde ihnen vergangene Woche vom Club untersagt, sich mit Personen außerhalb des Teams zu treffen. In Istanbul ging es direkt vom Flughafen ins Hotel, von dem aus die Halle über einen Aufzug zu erreichen ist. Der europäische Verband CEV, der alle Spielerinnen täglich testen lässt, hat den Teilnehmern garantiert, dass die Blase dicht ist. Dazu kommt, dass die Hälfte der Volleyballerinnen im MTV-Kader bereits eine Corona-Infektion hinter sich hat, folglich weniger anfällig sein müsste. „Wir werden extrem vorsichtig sein, uns penibel an alle Regeln halten“, sagt Renkema, die gemeinsam mit Geschäftsführer Aurel Irion lange überlegt hat, ob die Teilnahme an der Königsklasse unter diesen Bedingungen, zu denen auch gehört, dass es keine Heimspiele geben wird, überhaupt sinnvoll ist. Letztlich entschloss sich der Meister von 2019 zur Teilnahme. „Wir haben lange dafür gekämpft, dabei zu sein“, sagt Kim Renkema, „nun nehmen wir die Herausforderung an.“ Die auch sportlich enorm groß ist.
Den Spaß am Spiel zurückgewinnen
Zuletzt lief es alles andere als rund bei Allianz MTV Stuttgart. Trainer Giannis Athanasopoulos ging nach öffentlicher Kritik, was die Mannschaft ziemlich mitgenommen hat. Zudem haben einige Spielerinnen immer noch mit den Folgen ihrer Corona-Infektion zu kämpfen, die ziemlich an die Substanz ging. Und auch die erste Niederlage in der Bundesliga vergangene Woche in Suhl trug nicht dazu bei, die Stimmung aufzuhellen. „Wir stecken in einer schwierigen Phase“, meint die Sportdirektorin, die sich aber gerade deshalb auf die Champions League freut: „Wichtig ist für uns alle jetzt, den Spaß am Spiel wiederzufinden.“
Das könnte auch deshalb klappen, weil von den Stuttgarterinnen niemand etwas erwartet. In der Türkei geht es gegen Gastgeber Eczacibasi Istanbul (Dienstag, 18 Uhr deutscher Zeit), Dinamo Moskau (Mittwoch, 15.30 Uhr) und Lokomotive Kaliningrad (Donnerstag, 15.30 Uhr). „Das sind drei der weltbesten Teams, die Ergebnisse folglich absolut zweitrangig“, sagt Kim Renkema, „wir haben die stärkste der fünf Gruppen erwischt und deshalb nichts zu verlieren, können völlig befreit und ohne Druck aufspielen, die Partien genießen. Das wird uns guttun – trotz der riesigen Belastung mit drei Spielen innerhalb von drei Tagen!“
Und wenn es doch klappen sollte mit einer sportlichen Überraschung? Wäre das nur ein weiterer Beleg dafür, wie verrückt es im Volleyball in dieser Saison zugeht.