Die nächste Verletzte bei Allianz MTV Stuttgart: Außenangreiferin Channon Thompson hat sich eine Teilruptur der Plantarsehne zugezogen. Foto: Baumann

Die Belastung im Volleyball ist so hoch, dass irgendwann die Körper der Athleten nicht mehr mitspielen. Kim Renkema, Sportchefin von Allianz MTV Stuttgart, fordert einen Kurswechsel.

Stuttgart - Kim Renkema ist eine positive Persönlichkeit. Es muss schon viel passieren, ehe die Sportchefin des Volleyball-Bundesligisten Allianz MTV Stuttgart Zuversicht und Optimismus verliert. Aktuell ist sie kurz davor. Tief sitzt der Frust über das aktuelle Verletzungspech und die hohe Belastung, der vor allem die Nationalspielerinnen ausgesetzt sind. So tief, dass sie derzeit über Titel, Endspiele und Aussichten in der Champions League gar nicht groß nachdenken will – der amtierende Meister muss sich stattdessen neue Ziele setzen. „Ehe wir daran arbeiten können, etwas zu gewinnen, müssen wir erst daran arbeiten, fit zu werden und unseren Spielstil zu finden“, sagt Renkema, „in puncto Verletzungen geht es bei uns Schlag auf Schlag, da kommt einfach keine Ruhe rein. das macht keinen Spaß.“

Zuletzt traf es Channon Thompson (25). Die Außenangreiferin zog sich im Pokal-Achtelfinale gegen NawaRo Straubing am Samstag eine Teilruptur der Plantarsehne an der Fußsohle zu, muss vier Wochen an Krücken laufen und zumindest acht Wochen pausieren, kehrt also frühestens im Januar aufs Feld zurück. Das ist hart für die Nationalspielerin aus Trinidad und Tobago, aber auch für den Verein. Schließlich hat der Bundesligist in dieser Saison ganz bewusst drei starke Außenangreiferinnen verpflichtet, um dahinter Lara Berger (18) in aller Ruhe auf der für sie neuen Position entwickeln zu können. Derzeit käme ein Einsatz für die Hochtalentierte noch viel zu früh. „Die Verletzung von Channon Thompson ist genau das, was nicht passieren durfte“, sagt Kim Renkema, „es ist eine Katastrophe.“

Schwere Gegner im November

In der Tat türmen sich die Probleme zu einem ordentlichen Haufen auf. In Celine van Gestel und Alexandra Lazic sind nur zwei Außenangreiferinnen übrig, dabei hat die Saison noch gar nicht richtig begonnen – neben dem Start in die Champions League am 19. November stehen nun auch die Duelle gegen die ebenfalls ungeschlagen Bundesligisten SC Potsdam (Samstag, 18.10 Uhr/Sport 1 live) und Ladies in Black Aachen (16. November) sowie das Pokal-Viertelfinale gegen Schwarz-Weiß Erfurt (23. November) an. „Für ein Duo“, meint die MTV-Sportchefin, „ist das Programm, das uns in den nächsten Wochen erwartet, viel zu taff.“

Allerdings dürfte es schwer werden, auf die Schnelle noch eine Spielerin zu verpflichten – denn die finanziellen Reserven wurden bereits investiert, um die Probleme auf der Zuspiel-Position zu lösen, die durch die Rückenverletzung von Pia Kästner entstanden sind. Eine Lösung wäre, die 17-jährige Iane Henke aus dem Zweitliga-Team, die schon länger oben mittrainiert, ins kalte Wasser zu werfen. Oder eben mannschaftsintern umzuschichten – und zum Beispiel Diagonalangreiferin Jennifer Hamson auf Außen oder in Roosa Koskelo und Annie Cesar zwei Annahmespezialistinnen gleichzeitig einzusetzen. Alles Maßnahmen, die im Training gut vorbereitet werden müssten. Aber auch hier läuft es alles andere als rund. „Wir hatten seit dem Auftakt im August noch nicht eine Einheit mit dem kompletten Team“, erklärt Kim Renkema, „wir haben einfach die Seuche.“

Renkema: „Im Volleyball gibt es keine Erholung“

Pia Kästner und Channon Thompson, die vor ihrem Engagement in Stuttgart noch ein paar Wochen bei einem Verein auf den Philippinen spielte, um Geld zu verdienen, hat es am härtesten erwischt. Doch es gibt unter den vielen Nationalspielerinnen – egal ob aus den USA, den Niederlanden oder Kroatien – im MTV-Team keine, an der die hohen Belastungen und vielen Turniere im Sommer spurlos vorbei gegangen sind. Kaum eine von ihnen macht derzeit alle Trainingseinheiten mit, die meisten quälen sich von Spieltermin zu Spieltermin. „Jeder Mensch braucht irgendwann Erholung“, sagt Kim Renkema, „doch im Volleyball gibt es keine.“ Und das geht so weiter.

Am 21. Dezember bestreitet Allianz MTV Stuttgart das Bundesliga-Topspiel gegen den SSC Schwerin, schon zwei Tage später beginnt bei den Nationalteams, die sich noch nicht für die Sommerspiele 2020 in Tokio qualifiziert haben, die Vorbereitung auf die Olympia-Qualifikation. Diese wird bis zum 12. Januar ausgespielt, und am 15. Januar treffen die Stuttgarterinnen schon wieder auf den USC Münster. „Dieser Kalender ist absurd, so etwas gibt es in keinem anderen Sport“, schimpft Kim Renkema, „wir müssen endlich anfangen zu verstehen, dass wir es nicht mit Robotern zu tun haben, sondern mit Menschen, deren Körper irgendwann nicht mehr mitspielen.“

Weniger Play-off-Spiele?

Die MTV-Sportchefin fordert, die Belastung endlich herunterzuschrauben. Mit einem Zwölf-Monats-Kalender, der die Belange der Ligen und die internationalen Termine berücksichtigt – aber auch zumindest eine vierwöchige Volleyball-Pause vorsieht. Zudem könnte sich Renkema vorstellen, die Zahl der Play-off-Spiele in der Liga zu reduzieren und Turniere wie den Worldcup zu streichen. „Die ganze Volleyball-Welt sieht, dass es so nicht weitergehen kann“, sagt sie, „für die Athleten ist das aktuelle Programm nicht mehr auszuhalten.“