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Millionen Bürger werden beim Zensus 2011 befragt - Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Stuttgart - Der Zensus 2011 ist ein Mega-Projekt: Insgesamt werden 88 Millionen Datensätze aus Melderegistern, acht Millionen Interviews aus der Haushaltsstichprobe und Fragebögen von 17,5 Millionen Immobilieneigentümern ausgewertet.

Ab dem 9. Mai werden rund 80000 Interviewer ausschwärmen, um Deutschlands gut 81,8 Millionen Bürger in Stichproben zu befragen. Der Zensus 2011 ist die erste Volkszählung seit der umstrittenen Datenerhebung von 1987. Während damals noch ein Sturm der Entrüstung losbrach und Zehntausende die Befragungen boykottierten, ihre Fragebögen an Mauern klebten und zum Widerstand gegen die Datensammelwut des Staates aufriefen, ist es diesmal ruhig geblieben. Selbst die kleine Schar der Zensus-Kritiker hält die Volkszählung nicht prinzipiell für falsch.


Ist mit nennenswertem Widerstand in der Bevölkerung gegen den Zensus 2011 zu rechnen?

"Wir haben bisher ganz wenige kritische Anrufe bekommen", erklärt Barbara Sinner-Bartels. Die 56-Jährige leitet beim Statistischen Landesamt Baden-Württemberg die Projektgruppe Zensus 2011. Im November wurden rund 720000 Infobriefe an ausgewählte Wohnungs- und Hausbesitzer im Südwesten verschickt, um Adressen und Eigentumsverhältnisse abzuklären. Knapp 60 Prozent der Fragebögen kamen ausgefüllt zurück. "Für eine Vorabbefragung ist das sehr viel", betont die Diplom-Volkswirtin, die seit 1981 beim Landesamt arbeitet. Erstmals richtete die Behörde eine Hotline ein. "Innerhalb kürzester Zeit riefen 20000 Bürger an und wollten sich informieren."


Warum ist eine solche Volkszählung heute überhaupt noch notwendig?

Vor 24 Jahren wurde die Republik zum letzten Mal gezählt. Die Zahlen, mit denen die Behörden heute arbeiten, sind hoffnungslos veraltet. Die Methusalem-Statistiken wurden auf Grundlage der Daten über Geburten und Todesfälle, Hin- und Wegzüge fortgeschrieben. Doch die Differenz zu den tatsächlichen Zahlen dürfte vielerorts gravierend sein. Vor allem in größeren Kommunen sei "die Furcht vor unangenehmen Wahrheiten sehr groß", erklärt der Vorsitzende der Zensus-Kommission, der VolkswirtschaftsProfessor Gert Wagner. So schätzen die Statistiker, dass die reale Einwohnerzahl der Republik um bis zu 1,3 Millionen Menschen niedriger liegen könnte als derzeit angenommen. Ein Grund: Beim Wegzug aus Deutschland könnten viele Ausländer versäumen, sich bei den Behörden abzumelden.


Welche Bedeutung hat der Zensus für die Arbeit der staatlichen Behörden?

Rechtlich gesehen erfüllt die Bundesregierung mit dem Zensus 2011 eine Vorgabe der EU, die künftig Volkszählungen alle zehn Jahre vorschreibt. Wie hierzulande werden in diesem Jahr auch in den übrigen Mitgliedsstaaten Erhebungen durchgeführt oder Daten aus Registern abgefragt. Auf diese Weise wollen die Behörden aktuelle, verlässliche und zuverlässige Daten eruieren, die von unschätzbarem Wert sind: So hängen der Länderfinanzausgleich, die Einteilung der Bundestagswahlkreise oder die Stimmenverteilung der Länder im Bundesrat von der Einwohnerzahl ab. Um den Bau von Kitas, Altenheimen und Schulen zu planen, müssen die Behörden wissen, wie viel Bedarf besteht. Die Daten zum Wohnraum, zur Bildung und Erwerbstätigkeit vermitteln ein genaues Bild über die Zahl der Erwerbstätigkeiten und Selbstständigen, über Einschulungen und Wohnungsbedarf.


Seit wann laufen die Vorbereitungen für das statistische Mega-Projekt?

Mitte 2007 traf Sinner-Bartels mit einem kleinen Team die ersten Vorbereitungen, nachdem die Bundesregierung ein Jahr zuvor beschlossen hatte, sich am EU-weiten Zensus 2011 zu beteiligen. In den nächsten Wochen werden bis zu 250 Mitarbeiter in einer streng abgetrennten Projektgruppe im Landesamt alle Daten sammeln und prüfen. "Es ist viel zu tun. Ich arbeite deutlich mehr als früher. Das Projekt ist absolutes Neuland und sehr komplex."


Wie verpflichtend ist Teilnahme am Zensus?

Das Ausfüllen der Fragebogen ist verpflichtend. Jeder Immobilienbesitzer und jede ausgewählte Person der Haushaltebefragung muss wahrheitsgemäß antworten. Die Haus- und Wohnungseigentümer bekommen die Unterlagen ab Anfang Mai zugeschickt. Die einzelnen Haushalte werden ab 9. Mai von einem Interviewer aufgesucht, nachdem dieser bereits wenige Tage zuvor eine schriftliche Ankündigung in den Briefkasten geworfen hat. Sollte niemand zu Hause sein und kein Ausweichtermin vereinbart, hinterlässt er eine weitere Terminkarte. Wenn auch beim zweiten Versuch niemand öffnet, gibt er den Fall zur weiteren Bearbeitung an die zuständige kommunale Erhebungsstelle weiter.


Was geschieht, wenn sich jemand kategorisch weigert, den Fragebogen auszufüllen?

"Bei einer Weigerung bekommt man ein besonders höfliches Erinnerungsschreiben", so Sinner-Bartels. Wer sich dann immer noch taub stellt, erhalte eine "deutlichere Erinnerung oder Mahnung". Als letztes Mittel werde ein Zwangsgeld verhängt: 300, dann 500 Euro. "Es gibt theoretisch weitere Zwangsmaßnahmen, aber ich glaube nicht, dass das notwendig sein wird."


Wer zählt überhaupt?

Beteiligt sind das Statistische Bundesamt, die 14 Landesämter sowie 500 Erhebungsstellen in Landkreisen und Kommunen. Von 7,9 Millionen Bürgern, die interviewt werden, kommen etwa 1,1 Millionen aus 500000 baden-württembergischen Haushalten. Die Fragebögen an die drei Millionen Immobilienbesitzer im Südwesten verschickt das Landesamt.

Bei der Suche nach Interviewern haben die 88 Zensus-Erhebungsstellen im Südwesten auf Ehrenamtliche zurückgegriffen. Viele der mehr als 13000 Zähler sind Wahlhelfer und wurden im Vorfeld der Landtagswahl angefragt.

Bewerben konnte sich jeder, der mindestens 18 Jahre alt, zuverlässig und verschwiegen ist. Eine Befragung dauert mindestens 15 Minuten. Interviewer sind oft Schüler, Studenten, Hausfrauen oder Rentner. Wie Bärbel Henning. Sie befragt 135 Personen in einem Hochhaus in Neugereut. „Wie viel Zeit ich benötige, hängt davon ab, wie gut die Leute Deutsch sprechen und wie viel Personen in einem Haushalt leben.“ Die 68-Jährige – eine von 500 Interviewern in Stuttgart – hat Fragebögen in 13 Sprachen dabei, die sie bis Mitte Juli abliefern muss. Madeleine Dressler – eine von 110 Zählern in Esslingen – wird in Kennenburg 82 Personen befragen. „Ich engagiere mich gerne ehrenamtlich“, sagt die 22-Jährige. „Als Studentin habe ich mehr Zeit als Berufstätige.“

Für jeden ausgefüllten Fragebogen erhalten die Interviewer 7,50 Euro bis 9,50 Euro in Form einer steuerfreien Aufwandsentschädigung.


Und was kostet das ganze?

Die Gesamtkosten belaufen sich auf rund 710 Millionen Euro (Baden-Württemberg: 80 Millionen Euro).