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Falsche Fragebögen verärgern Immobilienbesitzer - Kritik an schwäbischer Mentalität.

Stuttgart - Zum ersten Mal seit 1987 unternimmt der Staat wieder eine Volkszählung. Vier Jahre lang hat das Statistische Landesamt das Großprojekt vorbereitet - herausgekommen ist ein rechtes Chaos.

Eva Thalau gehört nicht zur Spezies der Datenschutz-Querulanten, die hinter jeder Befragung finstere Mächte wittern. Bereitwillig hat sie dieser Tage dem Statistischen Landesamt (Stala) Auskunft über ihre Besitztümer erteilt. Die Angaben enthalten beschränkte Brisanz: Es geht um die Größe der Wohnung oder die Art der Heizung. Damit soll die Bevölkerungsstatistik auf den aktuellen Stand gebracht werden. Die letzte stammt von 1987. Die Zahlen dienen zahlreichen Stellen, vom Schulamt bis zur Baubehörde, als Grundlage.

"Die Erfassung stimmt hinten und vorne nicht"

Dennoch ist Eva Thalau schlecht auf das Stala zu sprechen. Der Grund: Neben den Fragebögen zu ihren eigenen Immobilien bekam die Stuttgarterin auch Unterlagen zugeschickt, die für ihren Sohn bestimmt waren. Dieser verfügt ebenfalls über Wohneigentum, hat dies aber eigenständig erworben. Außer mit dem Nachnamen hat er nichts mit den Thalaus gemein, er wohnt auch woanders. "Wir haben das reklamiert, schriftlich und telefonisch. Aber nach zwei Wochen kam die gleiche Sendung noch mal." Was nicht weiter schlimm wäre, schließlich ist der innerfamiliäre Postweg kurz. Was Thalau jedoch nachdenklich stimmt: "Wie kann es sein, dass Daten, die für andere bestimmt sind, an die falschen Leute gehen? Und das gleich zweimal!" Ihre Vermutung: "Die Erfassung stimmt hinten und vorne nicht."

Wie Thalau ergeht es derzeit vielen Tausenden. Sie bekamen Fragebögen doppelt, wenn auch meist nur ihre eigenen. Ursache war ein Fehler im Computerprogramm. Andere erhielten fälschlicherweise ein Erinnerungsschreiben, obwohl sie ihre Unterlagen bereits zurückgeschickt hatten. Auch hier soll eine technische Panne schuld sein. Die Folge: Die Telefone in den Statistikämtern sind seit Wochen überlastet. Eine eigens eingerichtete Hotline ebenso. Obwohl die Zahl der Mitarbeiter allein in Baden-Württemberg auf 70 aufgestockt wurde, ist sie seit Tagen nicht erreichbar.

Behördensprecher Martin Ratering kann sich für das Durcheinander nur entschuldigen. "Bei einem Großprojekt gibt es immer Dinge, die man nicht ganz kontrollieren kann." Er rät allen Betroffenen zur Geduld. Diejenigen, die falsche oder doppelte Fragebögen sowie fälschlicherweise Erinnerungsschreiben erhalten haben, sollten es frühestens kommende Woche wieder bei der kostenlosen Hotline 08 00 / 5 88 78 54 versuchen. Etwaige Mahnschreiben empfiehlt er zu ignorieren. "Wir zeigen uns da kulant."

Komplexe Datengrundlage

Computerpanne und überlastete Telefonleitungen schön und gut - nur: Wie kann es passieren, dass - wie im Fall der Familie Thalau - Datensätze an falsche Adressaten verschickt werden? Auch dafür hat das Stala Erklärungen parat. Verantwortlich sei zum einen die komplexe Datengrundlage. Die oberste Statistikbehörde des Landes erhält die Adressen aus verschiedenen Quellen: dem Melderegister der Kommunen, Vermessungsverwaltungen, der Bundesagentur für Arbeit sowie verschiedenen Grundsteuerstellen. Die Angaben werden abgeglichen und auf ihre Plausibilität geprüft. Dann fließen sie in das Gebäude- und Anschriftenregister des Stala ein. Laut Ratering "ein sehr komplizierter Vorgang". Zumal der Adressbestand ein Jahr alt ist. Todesfälle, Verkäufe und Umzüge erschweren das Prozedere zusätzlich. "Bei gleichen Familiennamen kann es da schon mal zu Schwierigkeiten kommen."

Einen anderen Grund sieht der Behördensprecher in der speziellen Mentalität der Häuslebauer. Viele haben ihre Fragebögen gesammelt in ein Kuvert gesteckt, ganze Hausgemeinschaften oder halbe Straßenzüge, mit der Folge, dass die maschinellen Lesegeräte ihren Dienst versagten. Andere falteten die DIN-A4-Bögen so lange, bis sie in ein einfaches 55-Cent-Kuvert passten. Ganz Findige wiederum gaben ihre Unterlagen unfrankiert bei der Gemeinde ab - so dass das Stala Fahrer losschicken musste. "Wir haben die Findigkeit der Schwaben unterschätzt", räumt Ratering mit einem Schmunzeln ein.

Bleibt die Frage, wie genau die Volkszählung bei dem ganzen Chaos überhaupt ausfallen kann? Viele der Befragten sind verärgert, was gern mit falschen Angaben quittiert wird. Beim Stala glaubt man an das Ehrliche im Menschen. "Warum sollte jemand bei der Frage, ob 90 oder 100 Quadratmeter, lügen?" Die Statistiker halten außerdem entgegen, dass bewusst oder unbewusst gemachte falsche Angaben durch die Masse von 2,8 Millionen Registrierten nivelliert werden.

In knapp zwei Jahren werden die Daten ausgewertet sein. Bis dahin werden sich Eigentümer noch eine Zeit lang mit Papierkram und belegten Hotlines herumärgern müssen. Nur eines sollten sie nicht tun: die Fragebögen direkt beim Stala in der Böblinger Straße abgeben. Der Briefkasten dort ist nämlich auch voll.