Beim Zensus 2011 wurde bundesweit die Zahl der Einwohner und der Wohnungen ermittelt Foto: dpa

Der letzte Zensus endete für den Südwesten bitter: In den meisten Städten und Gemeinden korrigierten die Statistiker die Zahl der Einwohner nach unten – seither fließt weniger Geld. Der Städtetag will eine solche Überraschung beim nächsten Zensus vermeiden.

Stuttgart - Für Mannheim war es ein Schock. Die Stadt, die bis dahin als zweitgrößte in Baden-Württemberg galt, rutschte nach der kleinen Volkszählung 2011 auf Platz drei hinter Karlsruhe. Viel schwerer als die Platzierung treffen Mannheim allerdings die finanziellen Folgen der Ergebnisse. Weil die Stadt nach dem Zensus 2011 rund 23 500 Einwohner weniger hat als bis dahin angenommen, fallen die Zuweisungen von Bund und Land deutlich niedriger aus. Die Stadt rechnet damit, dass der Stadt binnen zehn Jahren rund 200 Millionen Euro entgehen.

Mannheim ist kein Einzelfall. In den meisten Städten und Gemeinden im Südwesten korrigierten die Statistiker die Zahl der Einwohner nach unten – landesweit um rund 274 000 Personen, ein Minus von 2,5 Prozent. Viele betroffene Kommunen führen den Bevölkerungsschwund vor allem auf methodische Fehler beim Zensus zurück und fochten die Ergebnisse an. Die Statistiker hatten erstmals nicht mehr alle Bürger befragt, sondern sich überwiegend auf Meldedaten gestützt. Ausgewählt für die Erhebung wurden knapp zehn Prozent der Haushalte, die Ergebnisse wurden dann hochgerechnet.

Verfassungsrichter bestätigen Zensus

Von den 350 Kommune, die bei den Verwaltungsgerichten klagten, sind 144 aus dem Südwesten. Mannheim, Heilbronn, Esslingen, Emmendingen, Metzingen und Rutesheim reichten 2014 Musterklagen ein, unterstützt vom Städtetag. Ihr Ziel: die Zahlen zu revidieren. Zudem beklagten sie die mangelnde Transparenz der Erhebung. Die Aussichten auf Erfolg sind allerdings gesunken.

Denn mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht über die Klagen von Berlin und Hamburg entschieden, die noch höhere Verluste als der Südwesten zu verbuchen hatten. Die Richter in Karlsruhe kamen Mitte September zu dem Ergebnis, dass die Gesetzgebung des Bundes für den Zensus 2011 trotz „projektbedingter“ Unzulänglichkeiten mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Zugleich verpflichteten sie Bund und Länder zu Verbesserungen beim nächsten Zensus 2021.

Daran arbeitet der Städtetag Baden-Württemberg bereits. „Unser Ziel ist, beim nächsten Zensus 2021 die Ergebnisse aller Städte zu verbessern“, sagt Dezernent Norbert Brugger. „Da werden wir aus den Erfahrungen 2011 lernen.“ Ginge es nach den Kommunen, dann müsste schnellstens ein zentrales Melderegister her, das verlässliche Grundlagen für die Befragung bietet. Vorbild für sie ist Österreich. Damit ist allerdings frühestens beim übernächsten Zensus 2031 zu rechnen. Ein großes Thema bei der Volkszählung ist deshalb, was die Kommunen selbst tun können, um die Erhebungen zu verbessern.

Jeder fehlende Fragebogen bringt Verluste

Damit die Zahlen verlässlich sind, müssen die für die Stichprobe ausgewählten Haushalte auch tatsächlich befragt werden. Die Teilnehmer sind zwar verpflichtet, die umfangreichen Fragebögen etwa nach Familienstand, Haushaltsgröße und Bildungsstand selbst oder mithilfe von damit beauftragten Erhebern auszufüllen. Beim Zensus 2011 kamen offenbar aber nicht alle Fragebögen zurück, etwa, weil vorgesehene Teilnehmer im Urlaub oder umgezogen waren, nicht reagierten oder Adressen falsch waren. Für die Kommunen wirkt sich jeder fehlende Fragebogen negativ aus, weil die Ergebnisse hochgerechnet wurden. Wenn beispielsweise 100 Haushalte nicht antworteten, verlor die Kommune statistisch 1000 Einwohner. Und das heißt viel Geld: Pro Einwohner macht das nach Berechnungen des Städtetags bis zu 1000 Euro pro Person und Jahr aus.

Ob und wie viele Städte im Südwesten ihre Klagen bei den Verwaltungsgerichten aufrechterhalten, ist offen. Klagen, die sich ausschließlich auf Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Zensus stützen, haben aus Sicht des Städtetags wenig Aussicht auf Erfolg. Ende November wird der Rechts- und Verfassungsausschuss des Städtetags darüber noch einmal ausführlich beraten. In Esslingen sei noch nicht entschieden, ob die Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart aufrechterhalten werde, sagte ein Sprecher der Stadt. „Die Klage der Stadt Esslingen hat sich nicht nur ausschließlich auf Grundrechte bezogen, sondern darüber hinaus auch verschiedene Fehler gerügt.“

Stuttgart verzichtete auf Klage

Auch Stuttgart gehörte zu den großen Verlierern bei den Einwohnern – nach amtlicher Statistik schrumpfte die Stadt um rund 22 400 Bürger. Die Landeshauptstadt verzichtete allerdings auf eine Klage. Die Erfolgsaussichten seien zu gering, das Prozessrisiko hoch, argumentierte der damalige Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU). Wegen des Einwohnerschwundes gehen Stuttgart Zuschüsse von 15 Millionen Euro pro Jahr verloren.