Politik und Wirtschaft an einem Tisch: die Volkswagen-Vorstände Karlheinz Blessing, Herbert Diess, Matthias Müller, Betribesratsvoritzender Bernd Osterloh und der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (von links nach rechts) Foto: dpa

Niedersachsen ist kein Einzelfall: die Politik nimmt auf viele unternehmerische Entscheidungen Einfluss. Die Kritik daran ist nicht neu. Ein Umdenken setzt langsam ein.

Hannover/Berlin - O

b bei Flughäfen, Landesbanken oder Dax-Gesellschaften: Dass Politiker in Aufsichtsräten von Unternehmen sitzen, kommt gar nicht so selten vor. In der Mehrzahl sind es Kommunalvertreter und Landespolitiker, die Gesellschaften kontrollieren, an denen die Stadt oder das Land beteiligt ist. Die Politik begründet das mit der Wahrung ihrer Interessen: Wenn der Staat Anteile an Firmen besitzt, sollten die Volksvertreter auch nach dem Rechten schauen – so lautet die Begründung.

Dass Politiker wie der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) die Geschicke von Weltkonzernen im Aufsichtsrat kontrollieren, ist allerdings die Ausnahme. Durch die Sonderstellung des VW-Gesetzes, das bisher alle Politiker mit SPD- und CDU-Parteibuch gegen den Widerstand aus Brüssel verteidigten, übt Niedersachsen einen beispiellosen unternehmerischen Einfluss aus. Die Versuche aus Brüssel, die Sonderregelungen zu kippen, blieben ergebnislos.

Merkel blockte Änderungen ab

Bei der letzten Auseinandersetzung mit der EU verteidigte sogar Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Sperrminorität der Niedersachsen: Gegen die Stimmen des Landes kann der Volkswagen-Konzern keine wichtigen strategischen Entscheidungen fällen. Der Europäische Gerichtshof hatte diese Privilegien beanstandet. Merkel sorgte dafür, dass es nur zu einer graduellen Überarbeitung des VW-Gesetzes, das seit 1960 gilt, kam. Die damalige Justizministerin Brigitte Zypries (SPD), die heute Wirtschaftsministerin ist, sagte seinerzeit in einem Interview: „Volkswagen ist mit dem VW-Gesetz über Jahrzehnte hinweg gut gefahren. Warum sollten wir bewährte Regeln über das europarechtlich Gebotene hinaus ändern?“

Es blieb bei einer geringfügigen Überarbeitung des Gesetzes, die nichts daran änderte, dass Landes- und Industriepolitik eng beieinanderliegen. Günther Oettinger (CDU) hatte auf dem Höhepunkt des Übernahmeversuchs von Porsche im Jahr 2008 mehrere Vorstöße unternommen, den besonderen Schutz für VW durch das Gesetz zu beenden, doch der damalige baden-württembergische Ministerpräsident holte sich eine blutige Nase.

Der Bund überwacht große Beteiligungen

Auch wenn Niedersachsen mit dem direkten Zugriff auf einen Weltkonzern die Ausnahme bildet, sind Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft oft anzutreffen. Da gehören beispielsweise Landespolitiker dem Aufsichtsrat des Energieversorgungsunternehmens an. Auch bei börsennotierten Gesellschaften, an denen der Bund beteiligt ist, sitzen Vertreter der Bundesregierung im Kontrollorgan. Auf Bundesebene übertragen Minister die Aufgabe in der Praxis häufig ihren Staatssekretären – dahinter steht die Überlegung, dass Ministern Zeit für das Aufsichtsratsmandat fehlt. Da Bundespolitiker besonders unter Beobachtung stehen, wollen sie sich auch nicht dem Verdacht aussetzen, Diener zweier Herren zu sein. Dabei überwacht der Bund durchaus gewichtige Beteiligungen: Im Aufsichtsrat der Deutschen Post sitzt Finanzstaatssekretär Werner Gatzer. Der Staatssekretär, der für den Haushalt zuständig ist, wacht auch über den Pannen-Flughafen Berlin-Brandenburg, für den immer noch ein Eröffnungstermin gesucht wird. Bis vor einiger Zeit war Gatzer zudem Mitglied im Aufsichtsrat der Bundesdruckerei. Doch im Finanzressort scheint inzwischen die Überlegung gereift zu sein, dass ein Mitarbeiter nicht zu viele Mandate gleichzeitig ausüben kann. In das Kontrollorgan der Bundesdruckerei zogen andere Ministeriale ein.

Darüber hinaus ist der Bund auch im Aufsichtsrat der Deutschen Telekom vertreten: Diese Aufgabe hat Finanzstaatssekretär Johannes Geismann übernommen. In den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG sind Staatssekretäre aus dem Verkehrs- und Wirtschaftsressort entsendet worden. Die Minister halten sich zurück. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gehört dem Verwaltungsrat der staatseigenen KfW-Bank an. Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries ist dort ebenfalls vertreten.Auch auf Landesebene kommt es zu Verquickungen. Die baden-württembergische Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) gehört dem Aufsichtsrat des Energieversorgers EnBW ebenso an wie dem Aufsichtsrat der Landesbank LBBW. Bei der Bank ist sie sogar stellvertretende Aufsichtsratschefin. Das baden-württembergische Staatsministerium ist bei der LBBW ebenfalls mit Staatsminister Klaus-Peter Murawski vertreten. Dort trifft er auch auf den Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn.

Kritiker sprechen von Interessenkollision

Ulrich Hocker, Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), hält nichts von der Präsenz der Politik in Aufsichts- und Verwaltungsräten. „Grundsätzlich ist die Gefahr, dass es zu einer Interessenskollision kommt, relativ groß“, sagte Hocker dieser Zeitung. Er sieht das Risiko, dass die Politik etwa bei Standortentscheidungen ihren Einfluss geltend zu machen versucht. Hocker warnt zugleich vor einer Überforderung der Politik. Ein Aufsichtsrat müsse sich an die Verschwiegenheitspflicht halten. Darauf könne sich aber ein Politiker nur schwer berufen. Hocker empfiehlt, dass die Politik fachlich anerkannte Persönlichkeiten in Aufsichtsräte entsendet. Es gebe genügend verdiente Leute, meint der DSW-Präsident. In der Politik habe mittlerweile die Sensibilität bei diesem Thema zugenommen.

Hocker nimmt für sich in Anspruch, ein Umdenken eingeleitet zu haben. Edmund Stoiber (CSU) gehörte, als er noch Ministerpräsident von Bayern war, dem Aufsichtsrat der Bayerischen Vereinsbank an. Auf der Hauptversammlung kritisierte der DSW-Chef, dass Stoiber das Mandat ausübe, obwohl der Freistaat nur wenige Anteile besitzt. Der Ministerpräsident zog sich kurze Zeit später aus dem Aufsichtsrat zurück. Das Beispiel sollte Schule machen, findet Hocker.