Volkskrankheit Kopfschmerzen: Bis zu 90 Prozent der Bevölkerung hatten mindestens einmal im Leben schon Kopfschmerzen gehabt. Regelmäßig betroffen sind über die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland. Neurologen haben nun einen neuartigen Signalweg entdeckt, über den die Migräne-Beschwerden bei Patienten ausgelöst werden.
Kopfschmerzen sind laut einer Untersuchung des Robert Koch-Instituts (RKI) in Deutschland weit verbreitet, am häufigsten sind Migräne und Spannungskopfschmerzen. Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DKMG) schätzt, dass rund 32 Millionen Arbeitstage im Jahr allein durch Migräne verloren gehen.
Neuartiger Signalweg bei Migräne entdeckt
Eine jetzt veröffentlichte Studie könnte den Betroffenen neue Hoffnungen schenken. Denn Neurologen haben einen neuartigen Signalweg entdeckt, über den die Migräne-Beschwerden bei Patienten mit Aura ausgelöst werden.
Demnach werden bei Migräne-Anfällen über das Hirnwasser mehrere Proteine freigesetzt, welche die Blut-Hirn-Schranke überwinden und an die Nervenzellen in einem sensiblen Knotenpunkt binden. Infolgedessen kommt es zu den migräne-typischen Kopfschmerzen und Wahrnehmungsstörungen, wie die Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.
Neurologische Beschwerden bei Migräne-Aura
Migräne ist eine der häufigsten Formen von Kopfschmerzen. In rund einem Viertel der Fälle geht diese mit einer sogenannten Aura einher, die durch reversible neurologische Symptome gekennzeichnet ist.
Betroffene leiden dann nicht nur unter Kopfschmerzen, sondern zusätzlich auch unter Wahrnehmungsstörungen beim Hören und Sehen. Sie sehen beispielsweise Lichtblitze, doppelt oder fühlen ein Kribbeln im Körper. Diese Symptome können sogar schon bis zu einer Stunde vor dem eigentlichen Schmerz eintreten.
Wie Migräneschübe im Gehirn ablaufen
In früheren Studien wurde bereits nachgewiesen, dass Migräne-Auren durch spontane Glutamat- und Kalium-Schübe ausgelöst werden, die sich rasch über die Großhirnrinde oder das Kleinhirn ausbreiten. Das reduziert kurzzeitig den Sauerstoffgehalt und Blutfluss im Gehirn und verursacht Wahrnehmungsstörungen. Wie dieser Mechanismus in concreto funktioniert, war bislang allerdings unklar.
Ein Forscherteam um Martin Rasmussen von der Universität Kopenhagen hat deshalb in Mäuse-Experimenten nachgeprüft, wie Migräneschübe ablaufen. Dabei nutzten sie verschiedene bildgebende Verfahren und führten Protein-Analysen per Massenspektrometer durch, um die molekularen Vorgänge im Gehirn der Tiere zu untersuchen.
Signal wird über Nerven-Knotenpunkte weitergegeben
Die Neurologen entdeckten dabei einen zuvor unbekannten Signalweg, über den das zentrale Nervensystem im Gehirn und die Nervenzellen im restlichen Körper miteinander kommunizieren.
Dieser Weg verläuft nicht über Synapsen – also Kontaktstrukturen zur Übertragung eines chemischen oder elektrischen Signals von einer Nervenzelle auf eine andere –, sondern über einen bestimmten Nerven-Knotenpunkt außerhalb des Gehirns, den Ganglion trigeminale. Diese Ansammlung von Nervenzellkörpern sitzt an der Schädelbasis unterhalb des Gehirns und verbindet dieses mit den Nervenzellen im Gesicht und Kopf.
Lücke in der Blut-Hirn-Schranke
Im Gegensatz zu den übrigen Hirnregionen ist die Blut-Hirn-Schranke an diesem neuronalen Knotenpunkt durchlässig, wie die Mediziner feststellten. Dadurch ist es an dieser Stelle möglich, dass die peripheren Nervenzellen (PNS) – also jener Teil des Nervensystems, der nicht zum Gehirn und zum Rückenmark, dem zentralen Nervensystem (ZNS), gehört – mit den Proteinen aus dem Hirnwasser in Kontakt kommen.
Durch diese Lücke kann der Protein-Mix ungehindert hindurchfließen. Die Proteine aktivieren dann die Nerven im Knotenpunkt, was zu den Kopfschmerzen führt.
- Zur Info: Die Blut-Hirn-Schranke ist die Grenze zwischen Blut und Zentralnervensystem. Durch die Zellen, die der Gefäßwand außen anliegen, können nur bestimmte Stoffe ins Gehirn gelangen. Dadurch wird das Gehirn vor schädlichen Stoffen, Krankheitserregern und Giften geschützt.
Proteine reizen Knotenpunkte am Rande des Gehirns
Die Neurologen fanden zudem heraus, dass bei einem Migräne-Anfall zwölf verschiedene Proteine in das Hirnwasser freigesetzt werden, die dann an Schmerzrezeptoren auf den sensorischen Nervenzellen im Ganglion trigeminale binden können. Eine besondere Rolle spielt dabei das CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide)-Protein, ein aus 37 Aminosäuren bestehendes Neuropeptid.
- Zur Info: Neuropeptide sind organische Verbindungen, die im Nervengewebe vorkommen und als biochemische Botenstoffe (Neurotransmitter) Reize von einer zu einer anderen Nervenzelle weitergeben.
Weil dieser Mechanismus nach Hirnhälften getrennt erfolgt, treten die Schmerzen bei den meisten Migräne-Anfällen einseitig auf. Weitere Gehirnscans bei Migräne-Patienten zeigten darüber hinaus, dass dieser Signalweg sowohl bei Mäusen wie bei Menschen existiert.
Protein-Mix verursacht Kopfschmerzen und Aura-Beschwerden
Die Forscher schlussfolgern, dass der Protein-Mix die Aura-Beschwerden und Schmerzen bei Migränepatienten verursacht. Diese Erkenntnis könnte künftig den Weg für neue Migräne-Medikamente ebnen, die speziell an diesem Signalweg ansetzen und primär das CGRP-Protein hemmen.
„Die Definition der Rolle dieser neu identifizierten Protein-Rezeptor-Paare könnte die Entdeckung neuer pharmakologischer Ziele ermöglichen, die dem Großteil der Patienten zugute kommen könnten, die auf die bisher verfügbaren Therapien nicht ansprechen“, erklärt Rasmussen.
Die Forschungsergebnisse lieferten zudem eine Vielzahl „neuer Angriffspunkte zur Unterdrückung der sensorischen Nervenaktivierung, zur Vorbeugung und Behandlung von Migräne und zur Stärkung bestehender Therapien“, ergänzt Seniorautorin Maiken Nedergaard von der University of Rochester.
Info: Arten von Kopfschmerzen
Spannungskopfschmerzen
Patienten, denen der Kopf wehtut, haben am häufigsten Spannungskopfschmerzen. Die Hälfte aller Kopfschmerz-Gepeinigten leidet unter dieser Form von Kopfschmerz. Meist treten Spannungskopfschmerzen beidseitig auf, sind dumpf und drückend. Sie werden ausgelöst, weil sich die Muskulatur am Kopf verspannt. Auch Stress und Fehlhaltungen können eine Ursache sein.
Migräne
Während Spannungskopfschmerzen beidseitig auftreten, schmerzt Migräne fast immer nur auf einer Seite des Kopfes. Dort kann es hämmern, pochen und stechen. Häufig gehen Migräne-Attacken mit Übelkeit einher. Oft können Migräne-Patienten während einer Episode Geräusche und helles Licht kaum ertragen. Bei vielen Migräne-Geplagten sind es bestimmte Faktoren, die eine Attacke auslösen. Mediziner sprechen auch von sogenannten Triggern.
Clusterkopfschmerzen
Vom Clusterkopfschmerz ist unter 1000 Menschen nur ungefähr einer betroffen. Patienten beschreiben die peinigenden Schmerzen häufig, als würde einem ein Messer durch das Auge in den Kopf gestoßen. Clusterkopfschmerzen heißen so, weil sie gehäuft auftreten. Betroffene haben oft Monate oder Jahre Ruhe, bis der Schmerz plötzlich zurückkehrt. Dann allerdings mit bis zu acht Attacken pro Tag, und das über Wochen oder gar Monate.
Sinus-Kopfschmerzen
Kopfschmerzen können auch Folge einer Krankheit wie Erkältung und Bluthochdruck oder einer Verletzung etwa am Kopf oder einem Halswirbel sein. Dann spricht man von sekundären Kopfschmerzen. Vor allem in der kalten Jahreszeit treten sie mitunter als Folge einer verschnupften Nase auf, die zu einer Entzündung der Nebenhöhlen führt. Die Schmerzen strahlen dann meist in Nase und Nebenhöhlen aus. Davon betroffen sein können auch der Oberkiefer und die Zähne. Folgen sind mitunter Übelkeit, Erbrechen und Fieber.
Dauerkopfschmerzen durch zu viele Schmerzmittel
Schmerzmittel versprechen schnelle Linderung, wenn der Kopf pocht. Doch Vorsicht ist geboten: Denn die Medikamente können Kopfschmerzen auch selbst auslösen, warnen Mediziner und Apotheker. Nur weil man sie ohne Rezept bekommt, heißt das nicht, dass Schmerzmittel harmlos sind. Von Schmerzmitteln ausgelöste Dauerkopfschmerzen fühlen sich oft dumpf und drückend an.