1997: Zwei Schläge Foto: AP

Lang, lang ist’s her. 1997 durfte der frischgebackene Oberbürgermeister Wolfgang Schuster erstmals mit Zapfhahn und Hammer hantieren.

Stuttgart - Lang, lang ist’s her. 1997 durfte der frischgebackene Oberbürgermeister Wolfgang Schuster erstmals mit Zapfhahn und Hammer hantieren. Betrachtet man die Bilder seiner von Amts wegen unternommenen Schlegeleien, sieht man wenig Unterschiede. Gut, am Anfang trug er Mütze, später präsentierte er sein Haupthaar. Doch das Volksfest hat sich in diesen 16 Jahren völlig verändert. Knapp zwei Millionen Besucher kamen 1997, in den Zelten spielte man Blasmusik, bei einer Umfrage stellte man fest, die Stuttgarter bleiben dem Wasen fern, ansonsten diskutierte man über den Müll, den die Gäste am Neckardamm entsorgten. 2012 werden vier Millionen Besucher erwartet, an den Wochenenden ist kein Platz mehr in den Zelten, dort wird Party gemacht, und diskutiert wird über das neueste Dirndl.

Tippte sich der Notar früher an die Stirn, wenn man ihn fragte, ob er aufs Volksfest gehe, muss er heute auf den Wasen und lädt gleich noch seine Mandanten ein. Und der Szenegänger wandte sich einst mit Grausen, heute zwängt er sich in die Lederhose und grölt bei Schlagern mit.

Willkommen in der wunderbaren neuen Wasenwelt. 2005 übernahm die damals neu gegründete städtische Veranstaltungsgesellschaft in.Stuttgart die Organisation des Volksfests vom Marktamt. Und war so klug, sich nicht andauernd am großen Bruder Oktoberfest zu reiben und mit fantasievollen Besucherzahlen um Aufmerksamkeit zu buhlen, sondern schaute genauer hin: Was machen die Münchner besser als wir?

Und man erkannte, die Besucher mögen das Flair des Festplatzes, aber sie kommen zum Essen und Trinken. Also gab es Vorfahrt für die Wirte. Weil die sich nach Jahren des Zanks endlich einig waren und mit den Brauereien für ihre Interessen kämpften, wandelte sich das Gesicht des Wasens nach und nach. Die Zelte wurden größer und rückten zusammen. Und wenn die Stuttgarter Tourismuswerber in Italien für das Volksfest werben, nehmen sie nicht ein Pferdekarussell mit, sondern Bierbänke, und eine Band spielt Stimmungslieder.

Nicht umsonst hat mit Hans-Peter Grandl ein Wirt, der einst beim Oktoberfest lernte, den Umschwung eingeleitet. Dass die Besucher auch in Bad Cannstatt Landhausschick tragen könnten, war seine Idee. Wer Tracht trägt, kommt bei ihm ins Zelt. Und er erfasste auch als Erster den Zeitgeist: Das ganze Leben ist eine Party. Statt Blasmusik gab es Disco. Après-Ski, Karneval, Mallorca, Volksfest, ob Jürgen Drews oder AC/DC, völlig egal, Hauptsache, man kann feiern.

Dem Volksfest hat das gutgetan und neue Gäste zugetrieben. Auch die Lokalpolitik hat den Rummel als Vehikel entwickelt. Einst kamen die Kommunalpolitiker gar nicht auf den Wasen, heute sind sie ständig da. Und wenn über Sicherheit auf dem Platz debattiert wird oder Lärm, weiß jeder dazu etwas zu sagen. Noch ist es nicht so weit wie in München, wo Lokalgrößen ihre Bewerbung fürs OB-Amt auf dem Oktoberfest lancieren. Doch auch in Stuttgart muss man sich auf dem Wasen blicken lassen, jeden Abend tummeln sich die Wichtigsten in den Logen der Zelte. Sie dürfen übrigens bis 1 Uhr feiern, während das Volk um Mitternacht nach Hause muss.

Manche sind gleicher als die anderen, und das soll ein Volksfest sein? Diese Frage stellen etwa manche Schausteller, die sich als „Staffage“ empfinden. Die einen verdienen mit Göckele und Bier das Geld, die anderen sind mit Lichtern und Karussells für die Atmosphäre zuständig. So empfinden es manche Schausteller und verweisen darauf, „dass etliche Kollegen abgesagt haben, als klar war, dass sie keine guten Standplätze bekommen haben“.

Nun kann man es nie allen recht machen, doch wenn die Wartenden vor dem Hofbräu-Zelt von Grandl bei großem Andrang nur hineinkommen, wenn sie einen Verzehrgutschein von 20 Euro kaufen, betrachtet das auch Andreas Kroll, Chef von in.Stuttgart, mit Skepsis: „Er hat das Hausrecht. Aber die Besucher dürfen nicht das Gefühl bekommen, sie hätten keine Möglichkeit mehr, sich überall auf dem Platz umzuschauen.“

„Ein Eintritt ist das keiner“, sagt Grandl, „für die zwanzig Euro bekommt der Gast Essen und Getränke in vollem Gegenwert.“ Doch Grandl setzt die Trends auf dem Wasen, und ziehen die anderen nach, kommt man in kein Zelt mehr, ohne mindestens 20 Euro auszugeben. Perdu die Freiheit, nur herumzuschlendern oder nur ein Pils zu trinken. Doch am Flaneur verdient der Wirt nichts und verweist darauf, Kosten in Millionenhöhe zu haben.

Letztlich entscheidet das Publikum. Und derzeit goutiert es das Volksfest. So sehr, dass man sogar im Nobelhotel Steigenberger zur vorgezogenen Eröffnung lud. Und ein Stuttgarter Edelpuff wirbt damit, aufs Volksfest zu kommen. Wie auch immer man sich das vorstellen kann. Aber man sieht, das Volksfest hat dieser Tage viele Freunde. Es wird sich weisen, ob es immer die richtigen sind.