Drei von vier Vollzeitkräften des Familienbetriebs sind versammelt: Hannes, Beate und Sigmund Kemmler (v. li.). Nummer vier ist seine 78-jährige Mutter. Foto: factum/Simon Granville

Der Landesbauernverband sagt das Ende etlicher Familienbetriebe voraus, sollte das Volksbegehren „Pro Biene“ erfolgreich sein. Der Bauernhof der Familie Kemmler steht beispielhaft für einen von ihnen.

Sindelfingen - Sigmund Kemmler ist ein Bienenmörder. So sieht es die Initiative des Volksbegehrens „Pro Biene“, die Unterschriften sammelt mit dem Ziel, dass Baden-Württembergs Bauern größtenteils auf biologische Landwirtschaft umstellen. Das wäre Selbstmord für seinen Bauernhof. So sieht es Kemmler. Sein bäuerliches Idyll hat Anschluss an den S-Bahn-Halt Maichingen. Die Fahrgäste schauen ihm vom Bahnsteig aus geradewegs in die Wohnstube seines Hofs. Auf der anderen Seite des Bahnhofs strahlt Kemmlers Name in Weinrot an der Fassade seines Garten- und Bauernmarkts, in dem Teilzeitkräfte Produkte verkaufen.

„Früher waren das kurze Wege“, sagt Kemmlers Ehefrau Beate. Seit die Bahn hier hält, muss sie für 30 Meter Luftlinie zwischen Markt und Lager einen halben Kilometer fahren. In noch früheren Zeiten war dies ein Aussiedlerhof. Heute liegt er inmitten des Sindelfinger Baugebiets Allmendäcker, umzingelt von Wohnhäusern.

Mit ihren 78 Jahren kümmert die Mutter sich um 1400 Hühner

Ein Bauernhof ist ein Unternehmen. Dies werde gern übersehen. Von dessen Ertrag „möchte ich meine Familie ernähren“, sagt der Landwirt. Eher ernährt seine Familie sich selbst. Fürs Pressefoto gruppieren sich das Ehepaar und der 14-jährige Sohn Hannes vor einem Traktor. Damit sind drei von vier Vollzeitkräften versammelt. Die vierte ist Kemmlers Mutter. Mit ihren 78 Jahren kümmert sie sich um die 1400 Hühner. Den Traktor hat Kemmler gemeinsam mit einem Kollegen gebraucht gekauft. Die Hühner wären die ersten Opfer des Volksbegehrens. „Für Auslauf im Freien ist kein Platz in der Stadt“, sagt Kemmler.

In der Branche kursiert ein Witz: „Hieße es ‚Pro Schnake‘, würde keiner unterschreiben.“ Kemmler lacht darüber. Er lacht gern und viel, sogar, wenn er vom bevorstehenden Ende seines Hofes spricht, den der Großvater gegründet hatte. Beim Vorwurf, er schädige aus Gier die Natur, endet sein Humor allerdings. „Landwirte brauchen doch die Natur“, sagt er. Sie brauchen insbesondere die Biene.

Giftgeschwängerte Monokultur ist Kemmler schwerlich zu unterstellen

Sich an giftgeschwängerter Monokultur zu bereichern, ist Kemmler schwerlich zu unterstellen. Auf seinen Wiesen gedeihen Birnen, Äpfel, Mirabellen, Zwetschgen. Auf seinen Feldern wachsen Zwiebeln, Kürbisse, Weizen, Gerste, Hafer, Zuckerrüben, Kartoffeln, Linsen. Letztere sind derzeit ein Problem. Seine Getreidemühle, Sessler drüben in Renningen, stellt zum Jahresende den Betrieb ein. Aus unansehnlichen Früchten brennt Kemmler Schnaps. Zu kleine Eier werden in den Teig für die selbst produzierten Nudeln geschlagen. Den Strom liefern zwei Solaranlagen. „Wir tun was für die Umwelt“, sagt er. Diesmal ist das als Witz gemeint.

Selbstverständlich ist Öko-Landwirtschaft möglich. Vielleicht stellt sein Sohn irgendwann um, aber „solche Preise zahlt nur ein kleiner Kundenkreis“, sagt Kemmler. Die Initiatoren von Pro Biene, Tobias Miltenberger und David Gerstmeier, sind Imker. Im Internet bestellt, kosten 500 Gramm ihres Honigs 20 Euro. Kemmlers Bauernmarkthonig kostet sechs. Das Volksbegehren würde hiesige Produkte vergleichbar verteuern, prophezeit Kemmler, dann würden Früchte aus Hessen oder der Pfalz herangekarrt. Die schmeckten auch. Genauso wie die vom Balkan, wo die Handelsketten gern einkaufen, sogar mit Öko-Prädikat und deutlich billiger als überall in Deutschland.

Die Natur hat ihre Tücken – wie den Zwetschgenwickler

Pflanzenschutzmittel sind teuer. Allein deswegen „wäre es dem Landwirt am liebsten, die Natur würde alles regeln“, sagt Kemmler. Die Natur hat aber Tücken, wie den Zwetschgenwickler. Er hat keine natürlichen Feinde. Der Landwirt hat die Wahl: Spritzen – oder Wurmbefall und somit unverkäuflich. Ältere Jahrgänge erinnern sich, dass bis in die Nachkriegsjahre die Kinder schulfrei hatten, wenn die Kartoffelernte bedroht war. Sie schwärmten auf den Feldern aus, um Kartoffelkäfer einzusammeln. Auch der hat keine natürlichen Feinde. Heute müsste Kemmler dafür Hilfskräfte zahlen.

Er hat in diesem Jahr zum ersten Mal Rüben gesät, die nicht mehr mit Neo- Nicotinoiden gebeizt sein dürfen, einem Bienengift. Der Moosknopfkäfer fiel über sie her. Um die Ernte zu retten, „mussten wir mit Insektizid drüberfahren“, sagt er, „dabei ist auch ein Großteil der Nützlinge getötet worden.“ Derlei ist den Initiatoren von Pro Biene bewusst. Im Ausnahmefall wollen sie die chemische Schädlingsbekämpfung erlauben, mit Antrag und Sondergenehmigung. Zu solcher Bürokratie muss Kemmler nichts sagen. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat wissen lassen, keine Behörde könne diesen Aufwand bewältigen.

Das Insektensterben ist zuoberst für Bauern bedrohlich

Es ginge alles anders, ja, sagt Kemmler, und nicht nur das Bienen-, überhaupt das Insektensterben sei zuoberst für Bauern bedrohlich. „Warum wir pro Biene, aber contra Volksbegehren sind“, so ist eine Broschüre des Landesbauernverbandes betitelt. Familienbetriebe wie der Kemmlersche verkraften keine Verluste – „und wir können keine Umstellungen finanzieren“, sagt Kemmler. Erst nach drei Jahren werden Früchte von ehemals konventionellen Feldern als Bio-Anbau anerkannt: „Wenn ich alles zusammenrechne, komme ich vielleicht auf den Mindestlohn.“ Das Geld reicht halt, um die Familie zu ernähren und gelegentlich für einen Urlaub, einen bescheidenen. „14 Tage am Stück“, sagt Kemmler, „waren wir noch nie weg.“