Foto: Piechowski

52,9 Prozent der Bürger Stuttgarts votieren für den Tiefbahnhof.

Stuttgart - 52,9 Prozent der Stuttgarter gegen den Ausstieg des Landes bei S21 - das ließ die Befürworter des Bauvorhabens im Rathaus jubeln. Bei der Siegesfeier im Ratskeller gab's Applaus für OB Wolfgang Schuster und "Hermann weg"-Rufe gegen den Verkehrsminister.

So hat Stuttgart gewählt - zu den Ergebnissen!

Für das Stadtoberhaupt Wolfgang Schuster gibt es im Ratskeller kaum ein Durchkommen, als er kurz vor 20.30 Uhr zur Siegesfeier der Projektbefürworter stößt. "Wolfgang, Wolfgang", skandieren die versammelten Christdemokraten, neben denen im überheizten Raum viele Liberale, Freie Wähler und Pro-Stuttgart21-Aktive schwitzen.

Der OB hat Mühe, zu Wort zu kommen und sich mit Hilfe der überforderten Lautsprecheranlage verständlich zu machen. "Wir haben Grund zur Freude, weil Sie alle gekämpft haben", gibt sich Schuster staatstragend. Vertragsbruch dürfe einfach nicht sein, sagt er und ermahnt das Land, seiner Projektförderpflicht nachzukommen. Ein gutes Stichwort für die Zuhörer, die erneut "Hermann weg"-Rufe gegen den Grünen-Verkehrsminister Winfried Hermann anstimmen. Schuster ist gedanklich schon viel weiter: "Ich freue mich schon auf die Parks, auf Bäume, die wir pflanzen, und auf familienfreundliche Wohnungen", ruft er.

Gerhard Heimerl: "Bin erleichtert"

Der geistige Vater des Projekts Stuttgart21, Professor Gerhard Heimerl, steht, auf seinen Stock gestützt, derweil hinter Schuster. "Ich bin erleichtert, aber ich habe eigentlich nie an dieser vernünftigen Entscheidung gezweifelt", sagt der 78-Jährige. Vor 23 Jahren hatte er erstmals unterirdische Durchgangsgleise für Stuttgart vorgeschlagen.

Ins Gruppenbild der Sieger fügt sich auch Thomas Bopp (CDU). Der Vorsitzende des Verbands Region Stuttgart äußert die Hoffnung, dass der Ministerpräsident jetzt "die gegnerischen Lager zusammenführen kann". Die Debatte um Legalität und Legitimität des Projekts sei mit diesem Abstimmungsergebnis beendet.

Vier Stockwerke höher im Großen Sitzungssaal des Rathauses denken die Besucher längst über die Konsequenzen der Abstimmung nach. "Eine SMS an den OB von Frau Merkel muss heute Abend schon drin sein", sagt Schusters frühere Büroleiterin, Karin Maag, die seit Herbst 2009 CDU-Abgeordnete im Bundestag ist. Alexander Kotz, Fraktionschef der CDU im Gemeinderat, tut es gut, "die Ergebnispräsentation in diesem Raum auch mal positiv zu erleben". Zuvor haben Kotz und seine Parteifreunde bei drei Wahlen zum Gemeinderat, zum Bundestag und zum Landtag herbe Dämpfer bekommen.

Einer, der persönliche Niederlagen sogar in seiner CDU erlitten hat, ist Roland Schmid. Der frühere Stadtrat und CDU-Bezirksgruppenchef in Bad Cannstatt fordert von den Verlierern, dieses "eindeutige Ergebnis auch in Stuttgart" zu akzeptieren. "Wer auf Plakaten mehr Demokratie verlangt, muss das respektieren. Alles andere wäre Diktatur", sagt er.

Manfred Kanzleiter atmet auf

Genugtuung über das Ergebnis in Stuttgart verspüren im Sitzungssaal aber nicht nur die Christdemokraten. Auch Manfred Kanzleiter, SPD-Stadtrat und früherer Fraktionschef im Gemeinderat, atmet auf: "Ich habe schließlich über Jahre für das Projekt gekämpft." Jetzt sollten die Gegner die Entscheidung akzeptieren. "Nun muss die Konfrontation zu den Grünen abgebaut werden", sagt Kanzleiter im Blick auf die OB-Wahl im Herbst 2012. Amtsinhaber Wolfgang Schuster könne zwar triumphieren, aber er habe, "was die Stimmung angeht, am wenigsten zu diesem Ergebnis beigetragen".

Die SPD-Bundestagsabgeordnete und Projektbefürworterin Ute Kumpf ist nicht überrascht von dem Ausgang. Sie habe schon vorher den Eindruck gehabt, dass zwar in der Innenstadt die Widerstände gegen S21 groß seien, nicht aber in den Außenbezirken der Stadt. Eine der Konsequenzen aus dem Streit in Stuttgart müsse sein, dass in Berlin "über bessere Formen der Bürgerbeteiligung nachgedacht und ein Pflichtenheft dafür erstellt wird".

Die Freude der einen ist die Enttäuschung der anderen. Bei den Projektgegnern, die bis zuletzt Plakate klebten, demonstrierten und für den Ausstieg warben, ist Ernüchterung eingekehrt. Peter Pätzold, der Fraktionschef der Grünen im Gemeinderat, ist abgekämpft. "Mir geht es gesundheitlich nicht gut. Am Samstag war ich noch in Aulendorf, um Stimmen für den Ausstieg zu werben." Vom letzten Auftritt hat er eine Grippe mitgebracht. Dass es nicht einmal in Stuttgart zu einer Mehrheit gereicht hat, bessert sein Befinden nicht. Die Grünen seien aber die einzige Partei im Landtag gewesen, die für den Ausstieg warb. "Insofern haben wir uns ganz gut geschlagen", tröstet er sich.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Birgitt Bender hatte sich mehr erwartet. "Ich dachte, das Erreichen des Quorums würde das Problem sein, das Erreichen einer Mehrheit aber nicht." Die Landesregierung könne diese Entscheidung nicht ignorieren, "aber die Spielregeln in der Finanzierungsvereinbarung zu Stuttgart21 gelten weiter", warnt sie. Die Hürden für künftige Volksentscheide und für Volksbegehren müssten jetzt gesenkt werden. "Da diese Abstimmung vorbei ist, kann auch die CDU daran mitwirken", urteilt sie.

Wölfle: "Projekt bleibt schwierig"

Werner Wölfle, Verwaltungsbürgermeister der Grünen, anerkennt die "klare Botschaft" auch in Stuttgart. "Wir haben die Abstimmung verloren, aber das Projekt bleibt schwierig."

Das Ergebnis in der Landeshauptstadt, glauben die Grünen, wird Wolfgang Schuster zu einer nochmaligen Kandidatur beflügeln. "Dabei ist Stuttgart21 ja gar nicht sein alleiniges Projekt", sagt Peter Pätzold. Wie die Grünen rechnet auch der CDU-Bündnispartner FDP mit Schuster. "Wir haben heute wahrscheinlich den OB-Kandidaten der CDU gesehen", sagt der FDP-Kreisvorsitzende Armin Serwani.

Wie Befürworter und Gegner des Projekts zusammenfinden sollen, bleibt die große Frage des Abends im Rathaus. Der Verein Pro Stuttgart21 will auch 2012 tätig werden. "Ich bleibe Geschäftsführer, zwar nicht im Vollzeitjob", sagt Raimund Gründler, "aber wir haben die Pflicht, die Realisierung von Stuttgart21 zu begleiten." Der Verein wolle die Bürger nun aktiv einbinden. Die nächsten Wochen würden schwierig, befürchtet Gründler, "Triumphgeheul" will er deswegen nicht anstimmen. Die Bahn hat in den nächsten Wochen den Abriss des Südflügels und Rodungsarbeiten im Schlossgarten auf dem Programm stehen.

Die Verantwortung dafür trägt der Bahn-Projektchef Stefan Penn. Auch er ist am Abend, flankiert von Mitarbeitern und Bahn-Baden-Württemberg-Chef Eckhart Fricke, im Rathaus. Penn gibt sich gelassen: "Ich mache ganz sicher zwei Wochen Weihnachtsurlaub - der ist uns bei der Bahn heilig." Erst 2012 rücken die Bagger an.