Volker Lösch Foto: AP

Volker Lösch zu „Die Gerechten“ von Camus und zur Occupy-Bewegung – Premiere am Samstag.

Stuttgart - In „Die Gerechten“ beschreibt Albert Camus Intellektuelle, die mit Attentaten einen Umsturz erreichen wollen. Der Regisseur stellt dem ein heutiges Meinungsbild zur Occupy-Bewegung gegenüber. Die Premiere ist an diesem Samstag um 19.30 Uhr im Stuttgarter Schauspielhaus.


Herr Lösch, nicht nur in Stuttgart stehen Sie für die Arbeit mit Chören. Hier verzichten Sie darauf. Was sind die Gründe dafür?
Ich arbeite nicht zwingend mit Chören. Die Zusammenstellung der Besetzungen richtet sich nach dem jeweiligen Stoff.

Ist das ein kompletter Verzicht, oder werden auf andere Art und Weise chorische Elemente eingesetzt?
Lassen Sie sich überraschen.

Es ist eine weitere Spezialität von Ihnen, historische Stücke sehr entschieden danach zu befragen, was sie uns heute noch sagen können. Was kann uns dieses Stück noch sagen?
Dieses Stück wirft einige aktuelle Fragen auf. Einerseits geht es um das Bedürfnis nach Veränderbarkeit von Welt, welches ein politisches Eingreifen erfordert. Reicht es aus, das bestehende System zu reformieren, wie es auch der Meinung von Albert Camus und heutigen Anarchisten entspricht, etwa dem wichtigsten Aktivisten von Occupy Wall Street. Oder geht es darum, die jetzige Gesellschaftsordnung abzuschaffen und durch eine neue zu ersetzen, wie es zum Beispiel die Autoren des „kommenden Aufstands“ vorschlagen. Und weiterhin geht es um moralische Fragen, etwa bezüglich der Legitimation von Gewalt. Wie weit darf Gewalt gehen, um ungerechte Systeme zu stürzen?

Wie viel O-Ton Camus verwenden Sie noch in Ihrer Inszenierung?
Der Text von Camus bestimmt mehr als die Hälfte des Abends.

Zu dieser Inszenierung wurde ein Fragebogen herausgegeben, in dem die Menschen um politische Meinungen gebeten werden. Wie groß ist da inzwischen der Rücklauf, und was haben die Leute geschrieben?
Der Rücklauf war sehr groß. Und man merkt, dass in Stuttgart seit den Debatten um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 eine große Bereitschaft da ist, sich zu politischen Themen zu äußern. Für uns waren die Antworten auf diese Fragen Inspiration für die Gestaltung des Abends. Die Beschreibung der Themenvielfalt würde den Rahmen eines Interviews sprengen.

Was davon werden Sie in der Inszenierung verwenden?
Ein Beispiel: Wir arbeiten mit Begrifflichkeiten aus der Occupy-Wall-Street-Bewegung. Der Slogan „99 Prozent“ thematisiert die wachsende soziale Ungleichheit. Wir haben unsere Zuschauer nach der Einschätzung ihrer persönlichen Situation gefragt.

Bei den jüngsten Wahlen nicht nur in Deutschland fällt auf, dass die großen etablierten Parteien es immer schwerer haben, glaubwürdig zu wirken. Wird sich dies fortsetzen, ist das etwas, was Camus schon in seiner Gesellschaftskritik formuliert hat?
Ich vermute, ja. Politische Parteien verlieren zunehmend an Glaubwürdigkeit. Die Zukunft politischen Handelns liegt meiner Meinung nach in außerparlamentarischen Bewegungen. Politische Parteien können mit ihrem starren und unflexiblen Instrumentarien die Bedürfnisse der Bürger nach politischer Partizipation nicht mehr ausreichend befriedigen.

Es gab einmal eine ganze Generation junger Menschen, die sich im hohen Maße Camus verbunden fühlte. Kennen Sie diese, waren Sie eventuell auch dabei?
Camus’ Streit mit Sartre hat mich als Jugendlicher interessiert. Ich fand schon damals Camus’ Haltung zu den von ihm so benannten „zartfühlenden Mördern“ interessant.

Wenn diese nun in Ihre Inszenierung gehen, werden sie ihren Camus wiederfinden?
Selbstverständlich.