Kämpferisch: „Die Versuche, die Nachrichtendienste zu demontieren, sollte die Opposition nun endlich einstellen“, fordert Unionsfraktionschef Kauder Foto: dpa

Volker Kauder ist die Schaltstelle zwischen den Abgeordneten von CDU und CSU und der Kanzlerin. Die Kritik an Merkels Kurs richtet sich somit auch gegen ihn. Nun wehrt er sich.

Stuttgart - Herr Kauder, so richtig vergnügungssteuerpflichtig dürfte der Job als Fraktionschef der Union gerade nicht sein.
Wir alle in der Politik stehen derzeit vor großen Herausforderungen. Aber man kann sich bekanntlich nicht aussuchen, vor welche Aufgaben man gestellt wird.
Das Thema Flüchtlinge gehört dazu.
Das wird uns noch lange beschäftigen.
Gerade CDU-Abgeordnete aus dem Südwesten sind bei der Flüchtlingskrise mit dem Kurs der Kanzlerin nicht zufrieden und fordern mehr Kante. Was sagen Sie denen?
Zunächst einmal hat jeder das Recht, seine Meinung zu sagen, natürlich gerade in den Sitzungen unserer Fraktion. Den Kritikern sage ich aber, dass wir eine Aufgabe vor uns haben, für die es keine einfache Lösung gibt. Wir sind im Inland gefordert. Aber es muss vor allem international eine Antwort gefunden werden. Europa muss reagieren. Eine internationale Allianz muss versuchen, für Frieden und Sicherheit in Syrien zu sorgen. Diese Prozesse brauchen eine gewisse Zeit. Die Kanzlerin ist in allen Bereichen aktiv. Sie arbeitet mit Hochdruck und versucht vor allem die Türkei dazu zu bewegen, die Flüchtlinge, die bereits auf ihrem Territorium sind, weiter im eigenen Land zu beherbergen und die Grenzen besser zu sichern.
Trotzdem: Mit Blick auf die Landtagswahl in vier Monaten sorgen sich Abgeordnete um das Erscheinungsbild der CDU und müssen sich gegen den Eindruck vieler Bürger wehren, die Politik könne das Problem nicht bewältigen.
Besonnenheit ist ein Ausdruck politischer Klugheit. Das gilt insbesondere für die Bekämpfung des Terrorismus. Wir sollten aber selbstverständlich ebenso auf die Herausforderungen durch die Flüchtlingsbewegung ruhig und durchdacht reagieren. Hier haben wir bereits abgewogen gehandelt, und wir handeln weiter. Das müssen wir gemeinsam den Bürgern erklären. Es hat keinen Sinn, aufgeregt zu sein oder sich immer wieder öffentlich zu streiten. Das alles bringt uns überhaupt nicht weiter. Im Übrigen bin ich mir sicher, dass wir nach dem 13. März 2016 wieder den Ministerpräsidenten durch die CDU stellen.
Nochmals: Die Unruhe hierzulande über die scheinbare Hilflosigkeit der Kanzlerin wird größer. Viele Parlamentarier sehen mit Sorge, welche Zuwächse die AfD verzeichnet.
Wir können großes Vertrauen in die Kanzlerin haben. Je mehr wir in der Union streiten, umso stärker wird die AfD.
Nun ja, der nächste Clinch ist absehbar. Während sich die Landes-CDU an diesem Wochenende zum Parteitag in Rust trifft und ihr Wahlprogramm verabschiedet, findet in München der CSU-Parteitag statt. Horst Seehofer wird die nächste Attacke fahren . . .
Das befürchte ich nicht.
Sie sind aber ein großer Optimist. Zuletzt gab es doch nur Störmanöver aus Bayern.
Wir haben uns vor drei Wochen auf eine gemeinsame Position von CDU und CSU verständigt. Die vertreten wir auch miteinander.
Herr Seehofer hält sich nicht dran.
Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir die Zahl der Flüchtlinge reduzieren wollen, und gleichzeitig, dass die, die ein Bleiberecht haben, aufgenommen werden. An dem Ziel der Reduzierung der Flüchtlingszahl arbeitet die Kanzlerin seit Wochen. Zu diesem Punkt müssen auch die Länder ihren Beitrag leisten, denn wir haben in Deutschland derzeit 60 000 bis 70 000 Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die sofort abgeschoben werden könnten. Da muss mehr geschehen, auch in Baden-Württemberg.
Was fordern Sie?
In allen Ländern müssen die Abschiebequoten wesentlich höher werden, und zwar zügig. Das ist ein entscheidender Punkt. Wenn Flüchtlinge, die keine Aussicht auf ein Bleiberecht haben, wissen, dass sie wieder gehen müssen, werden sie sich auch nicht irgendwelchen Schleppern anvertrauen.
Sowohl Bundesinnenminister de Maizière als auch Bundesfinanzminister Schäuble haben sich zuletzt eher kritisch zur Flüchtlingspolitik der Bundesregierung geäußert. Nun spricht Wolfgang Schäuble beim Landesparteitag in Rust. Was befürchten Sie?
Die Bundesminister der Union sind sich in den Zielen und Instrumenten einig. In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch eines deutlich machen: Wir können sicher darüber diskutieren, wie man die Grenzkontrollen weiter verbessert. Wir sollten uns aber davor hüten, leichtfertig Forderungen zu erheben, in Europa alle nationalen Grenzen wieder dichtzumachen. Das wäre technisch schon sehr schwer, aber viel bedenklicher ist, dass das geeinte Europa dann um Jahrzehnte zurückgeworfen wäre. Wir müssen bei allem, was wir tun, auch an die Folgen für Europa denken. Dazu ist es aber kein Widerspruch, dass wir Mittel und Wege finden müssen, unsere Außengrenzen besser zu schützen. Da müssen wir ansetzen, und zwar schnell.
Und was wird mit dem Familiennachzug. Der Gemeindetag Baden-Württemberg geht von einer Quote von 1:7 aus, also könnte ein Flüchtling bis zu sieben Angehörige nachholen.
Der Familiennachzug ist für uns ein großes Thema, weil wir als christliche Partei um den Wert der Familie wissen. Aber das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kann momentan die Anträge auf Familiennachzug gar nicht bearbeiten. Das Amt hat erst einmal alle Hände voll zu tun, um die anhängigen Verfahren abzuarbeiten.
Den Flüchtlingen wird die Belastung des Bundesamts herzlich egal sein.
Ohne Genehmigung können die Betroffenen niemanden nachholen.
Als Sie einst noch in der Landes-CDU aktiv waren, haben Sie einmal gesagt, nur „des Teufels General“ zu sein, sprich niemand anders zu dienen als Erwin Teufel.
Worauf wollen Sie hinaus?
Kritiker werfen Ihnen Nibelungentreue zu Angela Merkel vor, dass Sie also die Kritik an der Kanzlerin nicht wahrhaben wollen.
Es ist richtig, dass es in der Bundestagsfraktion unterschiedliche Auffassungen gibt. Aber ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Fraktion zum Kurs der Kanzlerin steht. Ich selbst stehe nicht zu ihrem Kurs, weil ich Fraktionsvorsitzender bin, sondern aus Überzeugung. Ich war mehr als ein Jahrzehnt in der ganzen Welt unterwegs und habe gesehen, wie Menschen unter Bürgerkrieg und Terror leiden. Das hat meine heutige Haltung maßgeblich beeinflusst. Menschen, die aus Bürgerkriegsregionen kommen, müssen bei uns Aufnahme finden, wenn ihnen nicht anders geholfen werden kann.
Sie unterschreiben also nach wie vor den Satz der Kanzlerin „Wir schaffen das“?
Ja. Wenn wir alle zusammenstehen, schaffen wir das.
Gilt das auch für die Bekämpfung des Terrors? Was muss die Politik, was müssen die Parteien aus den Anschlägen von Paris lernen?
Natürlich müssen wir wachsam sein und Gefährder genau beobachten. Dazu brauchen wir die Nachrichtendienste. Die Versuche, diese zu demontieren, sollte die Opposition nun endlich einstellen. Jetzt sollte bei uns die Stunde der Gemeinschaft aller Demokraten gekommen sein. Alle Politiker sollten sich einig im Kampf gegen den Terror zeigen. Was soll denn noch mehr passieren als in Paris? Und am Dienstag wurde nicht zuletzt auch bei uns das Länderspiel abgesagt wegen Sicherheitsbedenken.
Aber nicht wenige Menschen haben jetzt Angst, zum Beispiel in einen TGV von Stuttgart nach Paris zu steigen.
Ich rate, das Leben ganz normal weiterzuführen und aufmerksam zu sein. Wir dürfen uns nicht irritieren lassen, sonst haben die Terroristen gewonnen.