Der Steinkauz fliegt nicht mehr durch die Bodenseeregion. Foto: Nabu

Die Zahlen, die Wissenschaftler jetzt vorgelegt haben, sind alarmierend. Ein Viertel der Vögel am Bodensee sind in den vergangenen 30 Jahren verschwunden. Ist die Landwirtschaft schuld?

Konstanz - Wenn Heinrich Fuchs über seine Obstbaumplantagen auf dem Bodanrück streift, hört er es zwitschern. Auf jedem Hektar hat er fünf Nisthilfen aufgehängt. Das machen fast alle Obstbauern so. Eigentlich seien auch in diesem Jahr wieder alle Nester besetzt gewesen, sagt er. Außerdem hätten sich auf dem Hof drei Rauchschwalbenpärchen einquartiert. Viel Dreck habe das gemacht, aber ihr Bruterfolg sei nicht zu verachten: 30 Schwalben brächen demnächst ins Winterquartier auf.

Landwirtschaft trägt 70 Prozent der Schuld“

Doch dass der 61-jährige Obstbauer auf seinem Hof im Konstanzer Vorort Dingelsdorf einen Kükenboom beobachtet, korrespondiert nicht mit den Feststellungen einer Langzeitstudie, die Wissenschaftler der Ornithologischen Arbeitsgruppe Bodensee und des Max-Planck-Instituts (MPI) am Montag vorgestellt haben. Demnach ist die Zahl der Brutpaare in den vergangenen 30 Jahren am Bodensee um ein Viertel zurückgegangen. Gerade Allerweltvögel wie Feldsperling, Amsel und Star fänden nicht mehr genug Nahrung. Raubwürger, Wiesenpieper und Steinkauz gebe es am See überhaupt nicht mehr, klagen die Forscher. Schuld sei vor allem die intensive Landwirtschaft. Der Insektizideinsatz vernichte die Nahrungsgrundlage der Vögel. Die Agrarwirtschaft habe die Landschaft in eine vogelfeindliche Zone verwandelt. Da böten auch die vielen Schutzgebiete am Bodensee keine Abhilfe, weil die Pestizide einfach vom Wind weitergetragen würden. 70 Prozent der Schuld am Schwund gehe auf das Konto der Landwirtschaft, schätzt der bekannteste Bodensee-Ornithologe, Professor Peter Berthold.

Ministerium prangert Lichtverschmutzung an

Doch die Landwirte fühlen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Die einseitige Schuldzuweisung drücke „aufs Gemüt“, sagt der Stockacher Bezirksgeschäftsführer des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands, Holger Stich. Auch im baden-württembergischen Landwirtschaftsministerium nimmt man die Bauern in Schutz. Der Rückgang der Brutpaare könne „mit Sicherheit nicht allein auf die landwirtschaftliche Nutzung zurückgeführt werden“, sagt eine Sprecherin des Ministers Peter Hauk (CDU). Der Wohnungs- und der Straßenbau führten zu einem Verlust von Lebensräumen. Zudem machten den Insekten die mit der Besiedlung eingehergehende zunehmende Ausleuchtung zu schaffen.

Demgegenüber tue die Landwirtschaft „schon jetzt viel für den Artenschutz“. So würden Schutzprogramme bereitwillig aufgenommen. Im vergangenen Jahr habe man dadurch die Ausweisung von 16 000 Hektar Blühfläche fördern können, sagte die Sprecherin. Bei einer aktuellen Zählung seien in der Bodenseeregion 117 Wildbienenarten gefunden worden. „Die Landwirtschaft ist ein Teil der Lösung und nicht ein Teil des Problems“, betont sie.

Hilft das Volksbegehren?

Derweil hoffen Umweltschützer auf das Volksbegehren Rettet die Bienen. In drei Wochen soll mit der Unterschriftensammlung begonnen werden. Andere zittern. Werde das Begehren Gesetz, bedeute dies für seinen Hof, den er zusammen mit seinen beiden erwachsenen Söhnen führe, wohl den Todesstoß, sagt der Konstanzer Obstbauer Heinrich Fuchs. „Wir liegen komplett in Schutzgebieten.“ Dort soll nach dem Willen der Initiatoren der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln komplett verboten werden. „Nicht einmal der Bioanbau wäre da noch möglich, denn ganz ohne Pflanzenschutz geht es nicht“, sagt Fuchs. „Der Handel und die Kunden akzeptieren ja nur Eins-a-Ware.“

Vielleicht sei die Fokussierung auf die Pestizide tatsächlich ein Fehler, sagt der grüne Landtagsabgeordnete Martin Hahn, der selbst bei Überlingen einen Biohof besitzt. „Früher wurde mit schlechteren Mitteln mehr gespritzt“, dennoch sei das Insektensterben geringer gewesen. Er sieht eher in der Spezialisierung und der damit einhergehenden Ausbildung von Monokulturen das Hauptproblem. Hier müsse die Politik ansetzen und den Landwirten noch mehr Angebote machen. Das Volksbegehren helfe hier nicht weiter.

Der Verbraucher muss umdenken

Fuchs kann ihm dennoch etwas Positives abgewinnen. Sollte das Begehren dazu führen, dass auch Äpfel mit Schorf verzehrt würden, sei dies ein Erfolg. Doch dafür müssten auch die Verbraucher umdenken, findet Fuchs.