Die Falkenmutter verfüttert ganz sachte das kleingemachte Fleisch einer Maus an eines ihrer Küken. Foto: Nabu

Bundesweit sind derzeit 1003 Kirchtürme als Lebensräume für bedrohte Vogelarten eingestuft. Seit einigen Jahren trägt auch die Dettinger Kirche die Nabu-Plakette. Inzwischen nutzen nicht nur Falken die Nistkästen, sondern auch Dohlen.

Dettingen - Sie sind die Bewohner Dettingens mit dem besten Ausblick. In einer Höhe von rund 35 Metern hausen im Turm der St. Georgskirche schon seit drei Jahrzehnten Turmfalken. Die Brutzeit beginnt jetzt Anfang April. Doch nicht nur Falken haben die Kirche als Kinderstube für sich entdeckt. Seit einem Jahr nisten auch Dohlen im Kirchturm – und kommen dabei gelegentlich den Falken in die Quere.

Dohlen liefern sich Luftkämpfe mit Turmfalken

Heinz Schöttner von der Dettinger Ortsgruppe des Naturschutzbunds (Nabu) deutet mit dem Finger nach oben, wo oberhalb der Kirchturmuhr eine Öffnung zu sehen ist, hinter der die Naturschützer einen hölzernen Nistkasten angebracht haben. Droben vor dem Flugfenster balgen sich gerade Dohlen mit Turmfalken. „Da gibt es manchmal Luftkämpfe ohnegleichen“, berichtet Heinz Schöttner. Die Dohlen haben schon mehrfach versucht, den angestammten Platz der Falken zu beschlagnahmen. Vor zwei Jahren interessierten sich die Dohlen erstmals für die St. Georgskirche. Heinz Schöttner vermutet, dass die Vögel im Gefolge von Saatkrähen auf ihrem Wanderzug hier „hängengeblieben“ sind.

Was tun, um den Vogelstreit außerhalb und in dem Kasten an der Ostseite des Kirchturms zu befrieden? Der Nabu installierte mit Unterstützung des evangelischen Kirchengemeinderats kurzerhand einen zweiten Nistkasten und hernach noch einen dritten. Allein die Nordseite ist derzeit noch frei. Die Bemühungen der Dettinger sind mit einer Auszeichnung belohnt worden. Seit zehn Jahren verleiht der Naturschutzverband gemeinsam mit dem Beratungsausschuss für das deutsche Glockenwesen die Plakette „Lebensraum Kirchturm“. Die Aktion stößt in ganz Deutschland auf Resonanz, inzwischen tragen 1003 Kirchen die Plakette. Das Ziel ist die Sicherung von Nistplätzen bedrohter Arten. Denn Kirchtürme gelten als ideal, um Brutstätten für Turmfalken, Fledermäuse, Schleiereulen, Dohlen und andere Arten einzurichten. Kirchen, die sich besonders um den Artenschutz verdient machen, erhalten eine Plakette zum Anschrauben nebst Urkunde.

Die meisten ausgezeichneten Kirchtürme sind im Südwesten

Als erste Kirche in Deutschland hat die Berliner Heilandskirche das Gütesiegel empfangen. Die Nase vorn hat jedoch Baden-Württemberg mit aktuell 212 ausgezeichneten Kirchen, gefolgt von Thüringen (150) und Niedersachsen (141). Im Südwesten ist auch die Region Stuttgart sehr gut repräsentiert. In Bad Cannstatt ist die Stephanuskirche vertreten, und schon allein in der Stadt Esslingen haben sich fünf Kirchen die Plakette verdient, darunter die Stadtkirche St. Dionys. Vorne mit dabei ist besonders der Kreis Böblingen mit insgesamt 26 Kirchen sowie der Kreis Göppingen, der mit zwölf ausgezeichneten Kirchen aufwartet.

Meistens zieht ein Turmfalkenpaar jedes Jahr drei bis vier Junge groß, erklärt Heinz Schöttner vom Nabu Dettingen. Der Vogel des Jahres 2007 ist ein typischer „Kulturfolger“ – also eine Tierart, die ihren Lebensraum der Nähe der Menschen angepasst hat. In der freien Natur nisten Turmfalken gerne in Felsnischen. Die mäusejagenden Greifvögel profitieren im Siedlungsraum aber auch von hohen Gebäuden. Allerdings macht die Modernisierung dieser Gebäude und der damit verbundene Wegfall von Nistmöglichkeiten den Vögeln zu schaffen.

Webcams liefern Vogelbilder aus den Nistkästen

Der erste Brutkasten in der Dettinger Kirche ist eine einfache, mit „Hasendraht“ gefertigte und recht zugige Holzkiste gewesen. Einen komfortableren Turmfalkenkasten gab es dann vor fünf Jahren. Das neue Domizil stattete der Nabu unter Mithilfe der Kirchengemeinde mit einer Webcam aus. Die Signale der Kamera werden per Kabel bis in das Gemeindehaus im Pfarrgarten geleitet. Dadurch ist es möglich, eine Bildfolge des Nestgeschehens im Abstand von 15 Sekunden im Internet zu übertragen. Als vor fünf Jahren die Kamera auf Sendung ging, wurde der St. Georgskirche auch die Nabu-Plakette verliehen.

Die Falken-Bilder stoßen laut Heinz Schöttner auf reges Interesse, nicht nur innerhalb des Ortes selbst, sondern auch bei Turmfalkenfreunden im Ausland mit Bezug zu Dettingen, wie begeisterte Rückmeldungen beispielsweise auf den USA oder Australien gezeigt hätten. Heinz Schöttner würde den Falken- und Dohlenfans gerne auch eine Live-Übertragung mit Ton bieten. Doch dafür müsste die Anlage technisch aufgerüstet werden, wofür es bisher aber am nötigen Geld fehlt.

Ein Jungfalke wird von einer Katze getötet

Turmfalken und Dohlen sind zwar geschützt, es gibt jedoch keinen existenzbedrohenden Rückgang dieser Arten. Inwiefern das Kirchturm-Projekt insgesamt der Arterhaltung dient, ist laut Heinz Schöttner durch Zahlen nicht belegbar. Meistens ist das Ausbrüten von Vogeleiern in der Dettinger Kirche von Erfolg gekrönt. Es gibt aber auch Rückschläge. So liegen hin und wieder auch taube Eier im Nest. Und vor fünf Jahren beispielsweise wurde ein Jungfalke von einer Katze getötet.

Vortrag: Am Mittwoch, 22. März, beginnt im Evangelischen Gemeindehaus in Dettingen, Schulstraße 5, um 19.30 Uhr ein Vortragsabend. Im ersten Teil lässt Heinz Schöttner das Turmfalkenjahr 2016 in Bildern und Kurzfilmen Revue passieren. Im Teil zwei zeigt Horst Jorde Fotos über die Natur rings um das Dettinger Naherholungsgebiet Käppele.