Hier ist immer was los: Mecklenburg-Vorpommern dient der Vogelwelt als Sommerresidenz und Winterasyl Foto: Thomas Schneider

Das Suchtpotenzial der Vogelbeobachtung wird maßlos unterschätzt. Wer aber einmal an der Feder hängt, landet eher früher als später in Mecklenburg-Vorpommern.

Am Anfang war das Wort, das einem partout nicht einfallen wollte. Keiner kannte den Namen des kleinen Kerls mit dem rosaroten Hemd und der samtschwarzen Kappe, der so unvorsichtig gewesen war, sein Versteck im dichten Busch zu verlassen. Starr und mit aufgeplustertem Gefieder hockte er auf einem kahlen Ast und tat so, als sei er bloß eine zu groß geratene Hagebutte. Wieder daheim werden eiligst diverse Online-Suchmaschinen befragt, anschließend Vogelbestimmungsbücher gekauft, und ist man dann erst einmal angefixt, legt man einen Teil seines Einkommens fortan nicht mehr in Restaurantbesuche und neue Kleider an, sondern investiert in Meisenknödel, Mehlwürmer, Feldstecher und ausgedehnte Vogelexkursionen.

 

Man muss nicht einmal in besonders exotische Weltgegenden reisen, um hinreißende Kranich-Balzshows, Patrouillenflüge von Fischadlern oder die alljährlich einberufenen Vollversammlungen Abertausender Zugvögel zu bewundern. Das Who’s who der Vogelszene trifft sich nämlich besonders gern in Mecklenburg-Vorpommern. Das im Nordosten Deutschlands gelegene Bundesland fungiert als Partnerbörse, Kinderstube, Konzertsaal, Sommerresidenz, Rastplatz und Winterasyl und ist für Vogelbeobachter deshalb das perfekte Ganzjahresziel.

Der Himmel ist von mächtigem Brausen erfüllt

Rund 200 Arten von Brutvögeln bauen hier ihre Nester. Hinzu kommen noch etwa 105 Zugvogelarten, die auf ihrem Weg in Mecklenburg-Vorpommern rasten. Ab Ende August bis weit in den Oktober hinein sind dann auch wieder Abertausende Kraniche und gewaltige Blässgänse-Trupps anzutreffen. Ihretwegen ist der Himmel im Winter oft von einem mächtigen Brausen und Rauschen erfüllt, wenn hunderte dieser Gänse von den frostrissigen Feldern der Bauernhöfe aufsteigen, Kurs auf einen nahen See nehmen und laut rufend über die Köpfe von Wanderern hinwegflattern.

Mecklenburg-Vorpommern Foto: StZN/Lange

In einer einzigen gewaltigen Schwarmbewegung drehen sie sich über dem Wasser ein und setzen schließlich zur Landung an; und weil eine grelle Sonne die helle Unterseite der Gänsekörper blendend weiß kalkt, scheint es, als ginge gerade ein massiver Schneefall hernieder. Unter empörtem Geschnatter machen blauschnabelige Reiherenten den Neuankömmlingen Platz. Die beiden Graureiher, die eben noch starr wie in Harz gegossen am Ufer standen, nutzen die Gelegenheit zum raschen Rückzug ins graubraune Schilf. Überraschte Wanderer brauchen meist ein bisschen länger, bis sie wagen, weiterzugehen oder gar zu sprechen. Wie Eindringlinge fühlt man sich in den Idyllen Mecklenburg-Vorpommerns oft, fürchtet zu stören und den Zauber des gerade Erlebten zu ruinieren.

Dass der Nordosten so überaus attraktiv für Austernfischer, Turmfalken, Schleiereulen, Spechte, Seidenschwänze und Eisvögel ist, liegt an der geringen Siedlungsdichte, am Angebot völlig unterschiedlicher Lebensräume – angefangen vom Ostseeküstengebiet über das nördliche Flachland und die Seenplatte bis zum Mecklenburger Elbetal – und nicht zuletzt auch am Nationalparkprogramm der DDR.

Der Beschluss eines solchen Programms war der allerletzte Tagesordnungspunkt auf der letzten Sitzung des Ministerrates der DDR am 12. September 1990 und gelangte so gerade noch rechtzeitig in eine der Zusatzvereinbarungen zum Einigungsvertrag. Ein echter Naturschutz-Coup. 14 große Landschaften auf dem Gebiet der neuen Bundesländer wurden unter dauerhaften Schutz gestellt, allein fünf davon liegen in Mecklenburg-Vorpommern. Aus ihnen gingen die beiden Biosphärenreservate Schaalsee und Südost-Rügen sowie die drei Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft, Jasmund und Müritz hervor.

Fliegende Botschafter für Biodiversität

Der Sicherung dieser wichtigen Lebensräume für Pflanzen und Tiere ist es zu verdanken, dass Mecklenburg-Vorpommern zu einem echten Vogel-Hotspot werden konnte. Sogar die Bekanntschaft mit Haliaeetus albicilla, einem der größten europäischen Greifvögel, lässt sich an hiesigen Seen, Küsten und Fischteichen machen. 300 Seeadlerpaare, so viele wie in keinem anderen Bundesland, brüten heute wieder hier, und an sonnenprallen Tagen gleiten sie mit weit aufgespannten Flügeln dicht über das Wasser, um mit blinzellosem Raubtierblick nach Beute zu spähen. Ob Adler, Austernfischer, Silberreiher, Eichelhäher oder Goldammern – bessere Botschafter für Biodiversität als die meckpommersche Vogelschar können Umweltschützer sich gar nicht wünschen, wecken sie doch Neugier, Wertschätzung und den Wunsch, das, was man lieb gewonnen hat, zu bewahren.

Seeadler flieg! Foto: Thomas Schneider

Wer also innehält, um die Schönheit von Vögeln zu bestaunen, dem wird auch viel daran gelegen sein, zu wissen, wen er da so lange belauscht und beobachtet hat. Abgesehen von einigen wenigen Arten wie Amsel, Spatz und Elster, die den meisten Menschen bekannt sind, sucht man in den Fundbüros unseres Gedächtnisses leider oft vergeblich nach weiteren Vogelnamen. Robert Macfarlane, einer der wichtigsten britischen Autoren des Nature Writing, sieht in diesem Sprachdefizit die Hauptursache für unseren Mangel an Aufmerksamkeit.

Mehr Verehrer für den Knospenbeißer

Was wir nicht benennen können, so Macfarlane, bleibt bis zu einem gewissen Grad unsichtbar, denn wir sind nicht in der Lage anderen davon zu erzählen und sie zum Beispiel für das Kerlchen mit dem rosaroten Hemd und der samtschwarzen Kappe zu begeistern. Die Beobachtung von Vögeln und die Beschäftigung mit ihrem Lebensraum kann diese Sprachlosigkeit jedoch heilen. Und dem Gimpel, der auch Dompfaff, Blutfink oder wegen seiner Futtervorliebe für die Blütenknospen von Obstbäumen auch Knospenbeißer genannt wird, zu einer stetig wachsenden Schar von Verehrern verhelfen. Damit die alsbald selbst feststellen können, wie aberwitzig glücklich es machen kann, den Fernseher mit dem Feldstecher zu tauschen.

Mecklenburg-Vorpommern

Anreise
 Mit dem Zug ab Stuttgart über Berlin oder Hamburg nach Zingst, www.bahn.de .

Unterkunft
Ein idealer Ausgangspunkt für Vogelbeobachter ist das Apartmenthotel Schlößchen Sundische Wiese in Zingst, unmittelbar am Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. DZ/ F ab 129,60 Euro, www.hotelschloesschen.de . Ganz nahe kommen können Urlauber den Kranichen im Landhaus Martens in Bresewitz, das sich unmittelbar in der Einflugschneise befindet. DZ ab 151 Euro, www.landhaus-martens.de . Direkt im Müritz-Nationalpark heißt Familie von Kessel die Gäste ihrem Ferienhaus Zartwitzer Hütte willkommen, ab 213 Euro pro Tag, www.ferien-im-mueritznationalpark.de .

Aktivitäten
Das Nabu-Kranichzentrum in Groß Mohrdorf informiert über Beobachtungsplätze und das Zuggeschehen und bietet Exkursionen an, www.nabu.de . Beste Aussichten auf Kranich-Trupps hat man von der Beobachtungsstation Kranorama am Günzersee, die ausschließlich zu den Rastzeiten der Vögel im Frühjahr und Herbst öffnet, www.kraniche.de . Kranich-Touren, Adlersafaris und Vogelstimmenwanderungen an der Müritz oder auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst werden auf folgenden Webseiten gelistet: www.nationalpark-service.de/touren . Mit Vogeltouren MV geht es zu den Bienenfressern, Adlern und Kranichen der Insel Rügen, www.vogeltouren-mv.de .

Allgemeine Informationen
www.auf-nach-mv.de ; www.natur-mv.de ; www.zingst.de