Französische Soldaten 1994 in einem ruandischen Flüchtlingslager – bei den Massakern schritten sie nicht ein. Foto: epa

Als Lehre aus dem Genozid von Ruanda vor 25 Jahren muss das Völkerrecht ausgeweitet werden. Denn moralische Apelle reichen nicht, meint unser Autor Johannes Dieterich.

Johannesburg - Der Genozid von Ruanda begann am Samstag vor 25 Jahren.Innerhalb von hundert Tagen wurden damals vermutlich 800 000 Menschen getötet: Erschlagen, vergewaltigt, in Stücke gehauen und in Flüsse oder Seen geworfen. Die Vereinten Nationen gedachten der Opfer ebenso wie Ruanda selbst: Dort war dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ein Stuhl freigehalten worden – er blieb leer.   Statt der Opfer des Völkermords hatte Frankreich damals die Täter in Schutz genommen – und tut das heute noch, indem einige von ihnen ungeschoren in Paris leben können. Auch Angela Merkel, Theresa May oder Donald Trump reisten nicht nach Kigali. Sie blieben dem Gedenken fern, wie ihre Staaten bei dem Völkermord untätig waren.

Die Welt schaute beim grausamen Töten weg

Fast die ganze Welt wandte sich vor 25 Jahren ab, als sich aufgepeitschte Ruander daran machten, ihre Schwestern und Brüder umzubringen: Die Mehrheit der Hutu tötete Tutsi und anders denkende Hutu, Frauen und Männer, Kinder und Greise. Sie wurden mit Macheten und Eisenstangen, mit Knüppeln und Messern massakriert: Patronen waren den Völkermördern für die Vernichtung zu kostbar.   Ein kleines Kontingent an kanadischen Blauhelmen, das den damaligen Friedensprozess in dem zentralafrikanischen Kleinstaat überwachen sollte, wurde abgezogen, nachdem es selbst angegriffen worden war. Die USA und andere Großmächte wollten eine weitere Intervention im komplizierten Afrika verhindern, nachdem eine solche zwei Jahre zuvor in Somalia schief gelaufen war. Ein Rückzieher, den Tausende Menschen mit dem Leben bezahlten.   Als Reaktion entstand immerhin der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag, um Völkermörder im Nachhinein belangen zu können.

Moralische Appelle reichen nicht aus

Auch zahlreiche Verantwortliche des ruandischen Genozids wurden vor Gericht gestellt: Hunderttausende wurden in Ruanda verurteilt, auch im Ausland einige Dutzend. Die meisten von ihnen wurden des Völkermords, seiner Vorbereitung oder der Beihilfe für schuldig befunden. Wegen unterlassener Hilfeleistung wurde keiner belangt.   Der Völkerrechtler Christopher Ayres, der an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht lehrt, hält das für nicht akzeptabel. Nicht grundlos hieße das von 149 Staaten unterzeichnete Abkommen aus dem Jahr 1948 „Konvention zur Vorbeugung und Bestrafung von Völkermordverbrechen“: Auf die Vorbeugung werde bisher viel zu wenig Wert gelegt. Schließlich kam es auch nach Ruanda zu zahlreichen Genozid-Versuchen: In Bosnien, im Kongo, in den sudanesischen Darfur-Provinzen, in Syrien und in Myanmar. Um Völkermorden wirksam vorzubeugen, müsse in den ersten Artikel der Konvention ein Passus aufgenommen werden, der auch unterlassene Hilfeleistung unter Strafe stelle, schlägt der Völkerrechtler vor: Dies wäre eine gute Weise, den 25. Gedenktag des ruandischen Genozids zu begehen.   Dass diese Chance schon verstrichen ist, darf den Vorschlag nicht verhallen lassen, denn moralische Appelle reichen nicht aus: Das hohle „Nie wieder“ war noch nie genug.