Szene aus Vivaldis Oper „La verità in cimento“ im Rokokotheater Schwetzingen Foto: Theater Heidelberg

Faszinierendes Fundstück: Das Heidelberger Theater zeigt Vivaldis Oper „La verità in cimento“ im Schwetzinger Schloss.

Schwetzingen - Was ist stärker: die Verwandtschaft der Gene oder die Verwandtschaft der Seele? Wie lebt, worunter leidet eine Patchworkfamilie? Und, vielleicht am allerwichtigsten: Wie wird man einen Macho los, der mit wirren Midlife-Crisis-Ideen seine Familie tyrannisiert? Sage keiner, barocke Opern hätten mit Problemen unserer Gegenwart nichts zu tun: Antonio Vivaldis fast zwei Jahrhunderte altes Stück „La verità in cimento“ („Die Wahrheit auf dem Prüfstand“), zuletzt 2015 an der Oper Zürich gefeiert und jetzt beim Barockfestival des Theaters Heidelberg im Rokokotheater Schwetzingen zu sehen, langt tief hinein in die sozialen Befindlichkeiten unserer Tage.

Zugegeben: Ohne Vergröberungen kommt das Libretto nicht aus. Da geht es um vertauschte Kinder, um eine Frau, die von zwei Halbbrüdern geliebt wird und sich erst dem einen, dann dem anderen zuwendet. Und an das vom Stück vorgegebene glückliche Ende des Familienzwists am Esstisch mag man schon gar nicht glauben. Das tut auch die Regisseurin Yona Kim nicht, die das Stück jetzt inszeniert hat. Einerseits lässt sie das kaum Glaubliche stehen, weil es ihr um die Details der Geschichte gar nicht geht. Andererseits spitzt sie das Unwahrscheinliche zu: Am Ende serviert die Gattin des Mannes, der bei Vivaldi ein Sultan, hier aber ein reicher Unternehmer ist, diesem einen roten Giftcocktail, die Geliebte zückt die Pistole, und auf Jan Freeses raffiniert viergeteilte Bühne wird hinten schon mal ein blumengeschmückter Sarg hereingetragen.

Zwischen Chargieren und feiner Psychologie

Die Inszenierung kommt nicht ohne Chargieren, überflüssige Schubserei und hilfloses Händeringen aus. Aber die Gesamtlinie stimmt: Für die packende Heutigkeit der emotionalen Extreme und sozialen Bruchlinien findet Yona Kim schöne, überzeugende Bilder: Da irren Figuren mit verbundenen Augen über die Bühne, da ändern Menschen im Bild ihre Positionen, als wären sie Teil einer Familienaufstellung.

Das Emotionale ist auch bei Davide Perniceni in besten Händen: Der junge Dirigent treibt das mit historischem Instrumentarium durchsetzte, stilistisch mittlerweile gut geschulte Philharmonische Orchester Heidelberg an, entzündet im Orchestergraben ein Feuer nach dem anderen, arbeitet feine instrumentale Momente heraus, schärft die Kontraste. So entsteht spannendes, aufregendes Theater – also genau das, was auch Vivaldis ungemein aktive, inspirierte Musik erreichen kann und will.

Dafür, dass die Arien hier als Glanzstücke feiner, dramatisch aufgerauter Charakterisierungskunst wirken, sorgen auch die insgesamt klasse gecasteten Sänger. Die besten unter ihnen sind die beiden Countertenöre Philipp Mathmann (sehr fein, ein Riesentalent mit großem Entwicklungspotenzial!) und David DQ Lee (mit wirkungsvollem Einsatz auch des Brustregisters, dafür manchmal allzu forcierter Höhe) sowie die koloratursichere Sopranistin Francesca Lombardi-Mazzulli. Man muss nicht alles glauben, was sie singen und spielen. Aber man muss es lieben.

Nochmals am 14., 23., 27. Dezember und im Januar.