Besucher der Entwicklerkonferenz Oculus Connect 4 nutzen die Möglichkeit, einen Ausflug in die Virtuelle Realität zu unternehmen. Foto: AFP

Während die Entwickler die gesellschaftlichen Chancen beim Einsatz von Virtual-Reality-Technik betonen, zeigt sich die Realität anders: Viele Nutzer stehen lieber auf Ego-Shooter-Spiele.

San Jose - Wie sozial ist die virtuelle Realität (VR)? Diese Frage zieht sich durch die Entwicklerkonferenz Oculus Connect 4 im kalifornischen San Jose wie ein roter Faden. Und ganz offenbar hat Facebook-Gründer Marc Zuckerberg mächtig Druck, die Technologie gegen allerlei Angriffe zu verteidigen. „Virtual Reality isoliert nicht, sie verbindet uns“, ruft er bei seiner Keynote zum Start der Konferenz ins Publikum. Doch ist das auch die öffentliche Wahrnehmung? Beobachtet man Nutzer, die einen Ausflug in die computeranimierte Welt unternehmen, sieht man Menschen mit klobigen Brillen, die nichts von der Wirklichkeit mehr wahrnehmen. Diese Sichtweise sei zu eng, kritisiert Zuckerberg. Schließlich betritt dieser Nutzer neue virtuelle Räume, „das eröffnet ganz neue Möglichkeiten“. Zu Konferenzen muss nicht mehr geflogen werden, die Sehenswürdigkeiten der Welt nicht mehr bereist werden – so argumentiert der Unternehmer.

Facebook Spaces, die Oculus-eigene soziale VR-Plattform, ist schleppend angelaufen

Zuckerberg versucht seine Idee von der „Social VR“ zu verkaufen: der sogenannten gesellschaftsfähigen virtuellen Realität, in der sich Menschen treffen können, um sich auszutauschen. Doch es funktioniert nicht so wie gedacht: Denn Facebook Spaces, die Oculus-eigene soziale VR-Plattform, ist schleppend angelaufen. Nach wie vor wollen die Nutzer lieber Shooter-Spiele spielen als sozial zu sein. Nun also der zweite Anlauf: Die Mitarbeiter sprechen im hippen Konferenzzentrum von San José im Silicon Valley zwischen Proteinriegeln und Energydrinks darüber, wie viel Gutes man doch mit VR tun könnte – doch allzu viel scheint dem Konzern dazu nicht einzufallen. Das ist ungeschickt für Zuckerberg, der sich erst vor wenigen Tagen eine schlechte Presse eingehandelt hat, als er sich mittels virtueller Realität auf die vom Hurrikan zerstörte Insel Puerto Rico begab – als eine Art Comicfigur. Eigentlich wollte er sich da für das Gute einsetzen und schwärmte davon, wie echt es sich anfühle, wie real man an diesem anderen Ort sei. Er sprach während der virtuellen Reise mit einer Vertreterin des amerikanischen Roten Kreuzes, das von Facebook mit Geld und technischem Know-how unterstützt werden sollte. Doch er wurde vor allem für seine mangelnde Empathie als „herzloser Milliardär“ beschimpft.

Virtual reality verbessert die Behandlung der Patienten

Diesen Eindruck versucht Oculus nun wieder wettzumachen. Doch wenn es darum geht, an welchen Stellen und in welchen Situationen sich die virtuelle Realität sinnvoll einsetzen lässt, überlässt das Unternehmen die Bühne in San José meist anderen: So diskutieren beispielsweise der Kinderarzt Todd Chang vom Kinderkrankenhaus in Los Angeles und David Axelrod, Medizinprofessor der Stanford University, darüber, wie virtuelle Realität die Ausbildung der Krankenpflegeteams verbessern könnte. Ärzte könnten dann schwierige Eingriffe im Virtuellen üben anstatt an Leichen. „Das verbessert auch die Behandlung der Patienten“, sagt Axelrod.

Die Medizinier setzen dabei große Hoffnungen in die Haptik, die künftig ebenso in die virtuelle Realität übertragen werden soll. Bislang sind Dinge, die man dort berührt, nicht zu spüren – die Controller gleiten einfach durch sie hindurch. Wissenschaftler arbeiten derzeit daran, das Fühlen nach dem Sehen und Hören ebenfalls virtuell zu repräsentieren.

Maschinengewehre und futuristische Waffen dominieren die Spiele

Es gibt aber auch andere Gebiete, in denen die Flucht aus der Realität wortwörtlich genommen werden soll: So erzählt Robin Hunicke, die Gründerin eines VR-Spiels namens „Luna“, wie sie ihre meditative virtuelle Umgebung entwickelt hat. In dieser, so Hunicke, könnten Nutzer „emotionale Erfahrungen machen“. Doch das Gros des Publikums interessiert solche beruhigende Fluchten weniger. Sie sind lieber in den Hallen für Demonstrationszwecke und probieren aus, wie sich Shooter-Spiele in der virtuellen Welt anfühlen: Maschinengewehre und futuristische Waffen dominieren die Spiele, die Konferenzbesucher ausprobieren können. „Toll, erst reden sie die ganze Zeit über soziale und gute Anwendungsfälle – und dann bringt Oculus doch nur Egoshooter heraus“, schimpft eine Besucherin.

Joshua Mensah, Produktmanager von Facebook Spaces, mag das so nicht stehen lassen. „Es gibt auch Nutzer, die soziale Erfahrungen bevorzugen.“ Doch anscheinend nicht allzu viele – über Nutzerzahlen der eigenen Social-VR-Plattform schweigt er sich aus. Shooter oder „das Gute der virtuellen Realität“ – wohin geht die Reise? Mensah weicht aus: Für eine Prognose sei es zu früh.

Virtual Reality soll mehr Empathie wecken

Das Marketing versucht zumindest, alle Register zu ziehen: „VR hat mich sogar ins Gefängnis gebracht“, sagt Paula Cuneo vom Experience-Marketing bei Oculus bei ihrem Vortrag. Sie habe eine Dokumentation über ein Hochsicherheitsgefängnis in Kalifornien gesehen. Der 360-Grad-Film, in dem Gefangene interviewt wurden, hat sie so bewegt, dass sie sich seither im echten Leben als Mentorin bei Häftlingen engagiert.

Die virtuelle Realität sei eine Empathiemaschine, so Cuneo, „Wissenschaftler haben das gerade bewiesen.“ Wenn sich Nutzer dank virtueller Realität in die Perspektive anderer versetzen, werden sie toleranter und offener für deren Weltsicht. Sie erzählt von Projekten, in denen Patienten mit tödlichen Krankheiten im Krankenhaus dank VR-Spielen neuen Lebensmut gewinnen. „Sie verlassen das Bett, sie bewegen sich wieder!“ Manche Patienten hätten großes Interesse an der Technologie und um Schulungen gebeten. Cuneo verlässt den Raum, gefolgt von einer Traube interessierter Entwickler. Man kann hoffen, dass die Entwicklergemeinde kreativer ist als die großen Unternehmen.