Die Leidenschaft fürs Kochen ist seine lebenslange Begleiterin: Vincent Klink Foto: privat

Vincent Klink, Stuttgarts bekanntester Koch, teilt in seinem aktuellen Buch Gedanken und Köstlichkeiten, Rezepte für die küche und fürs Leben.

Stuttgart - Hand aufs Herz: Wer hat schon einmal Kalbskopf gegessen? Oder gar selbst gekocht? Auf jeden Fall Vincent Klink, detailliert beschreibt er die Zubereitung in seinem aktuellen „Tage- und Rezeptbuch“. Was den Inhaber des Stuttgarter Feinschmeckerlokals Wielandshöhe auch als TV-Koch auszeichnet, ist seine Leidenschaft: Die Speisen stehen im Mittelpunkt, nicht der stets selbstkritische Küchenchef, auf dessen Empfehlungen man sich verlassen können soll. Eigentlich habe er Künstler werden wollen, schreibt er, doch „Vater meinte, ein guter Koch wäre besser als ein schlechter Künstler. Und so bin ich, was ich bin, und schaue, dass ich nichts verwechsle.“ Eine von Klinks Maximen lautet: „Verlieren lernen.“ Manche Gäste fühlten sich belehrt und beleidigt, wenn er ihnen erkläre, dass Fleisch nicht rosa und zugleich heiß sein könne (sonst wäre es durchgebraten) – dabei müsse Klink „selbst vor meinen jungen Köchen“ jeden Tag „eine Entscheidung rückgängig machen“.

So lässt der schwäbische Kochkünstler die Leser seines Buchs nicht nur an Küchengeheimnissen teilhaben, sondern auch an seinen Gedanken zum Leben. Die sind geprägt von einem gesunden Menschenverstand, der selten geworden ist in Zeiten der Netzwerk-Hysterie. Beginnend im Jahr 2006 erzählt Klink chronologisch kulinarische und philosophische Anekdoten, immer mit klarer Haltung. „Die Welt will betrogen sein“, zitiert er Sebastian Brants Moralsatire „Das Narrenschiff“ von 1494 und nimmt alle möglichen Themen aufs Korn: Regelungswut und Hygienewahn, „Küchen-Kamasutra“ und „Veggie-Day“, Biosiegel und die Qualität vieler Lebensmittel – „Wirklich gute Zitronen sind so selten wie Elefanten in der U-Bahn.“ Die Simulationstheorie des französischen Philosoph Jean Baudrillard bewahrheitet sich aus Klinks Sicht, wenn Tomaten nicht in Erde wachsen, sondern künstlich ernährt werden. Er geißelt die „Brutallobby“ der „Umwelt- und Tierschadensindustrie“ und den Verbraucher, „dem es nicht billig genug sein kann, der seinen Bauch als Mülldeponie akzeptiert und der sich nicht um gastronomische Mitarbeiter und um Lebensmittelqualität schert“.

Die Lektüre ist gehaltvoll und leicht

Klink ist oft zur Inspiration in Paris, ihm geht es um Genuss, um Leib und Magen. Er offenbart den „Ofenschlupfer nach Tante Agathe“, er rehabilitiert das gern missverstandene Risotto, er lüftet die Geheimnisse von Gulaschsuppe, Pizzateig und Bratkartoffeln, Bœuf Bourguignon, israelischem Hummus und natürlich Zwiebelrostbraten, Maultaschen. Gegen Liebeskummer empfiehlt der selbstironische „Frauenflüsterer“ Reisbrei, „übrigens eines der schwierigsten Rezepte, wenn es kein Mampf, sondern Weltklasse sein soll“.

Klink schreibt frei von der Leber weg, das macht die gehaltvolle Lektüre leicht. Umberto Ecos „Name der Rose“ etwa nimmt er zum Anlass, kritisch übers viel beschworene christliche Abendland nachzudenken. Er erklärt, wieso er den Begriff „Wirtshaus“ mag, wieso die kundigen Kellner aussterben und wieso es müßig ist, als Koch Sterne anzustreben: Wer Sterne verdient habe, denke nicht an sie, sondern „dauernd ans Kochen“. Der Küchenchef räumt auch das Gerücht ab, es sei in Spitzenrestaurants verboten, gegenseitig vom Teller zu schnabulieren – er hält gemeinsames Schwelgen sogar für wünschenswert. „Dresscode haben wir keinen“, schreibt er. „Insgesamt muss man so auftreten, dass sich die unmittelbare Nachbarschaft nicht die Augen verdirbt.“

Dekoration kann er nicht leiden

An mehreren Stellen beschäftigt Klink sich mit Flatulenz und Meteorismus („ich kenne mich aus mit Blähungen“) und immer wieder mit der Oberflächlichkeit des schönen Scheins. Die Weihnachtsdekoration von Melania Trump ist für ihn „eine US-Orgie in Kitsch und Verlogenheit“ – „das Wort Deko kann meine Frau auf die Palme bringen, denn Deko bedeutet, das etwas mehr hermachen soll, als tatsächlich vorhanden ist.“

In diesen Verdacht gerät Klink selbst nie. Er beschließt sein Rezept- und Tagebuch mit dem einzigen Eintrag des Jahres 2018, eine Erinnerung an den am 21. Januar verstorbenen französischen Koch-Pionier Paul Bocuse. Der habe „nie auf Kosten seiner Gäste experimentiert oder sich mit billigen Tricks das Lob der Kritiker erheuchelt“, sondern mit klassischer Küche „eine Rezeptur für orale Erregung“ geschaffen, „die für alle Zeit Gültigkeit haben wird“. Ohne dass dies als Absicht erkennbar wäre: Klink formuliert hier Sätze, die man genauso über ihn selbst schreiben könnte.