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Heftige Diskussionen gibt es um die Planungen für die Villa Berg und den sie umgebenden Park. Der Stuttgarter Architekt Roland Ostertag plädiert in einem Meinungsbeitrag für die öffentliche Nutzung.

Stuttgart - In Stuttgart wird nicht nur um das Verkehrs- und Städtebauprojekt Stuttgart 21 gerungen. Heftige Diskussionen gibt es auch um die Planungen für die Villa Berg und den sie umgebenden Park. Der Stuttgarter Architekt Roland Ostertag plädiert in einem Meinungsbeitrag für die öffentliche Nutzung.

Der Charakter, die Atmosphäre der Stadt Stuttgart wird gleichermaßen durch die Topografie wie durch die ehemaligen königlichen Parks und Gärten wie Schlossgarten, Rosensteinpark, Wilhelma, Park der Villa Berg und die bürgerlichen Anlagen wie den Stadtgarten geprägt. Seit der Gründung Stuttgarts steht schon im Namen unserer Stadt dieses naturgegebene Leitbild des Gartens. Mit München weist die Stadt die größte Mannigfaltigkeit, einen Blütenstrauß stilistisch unterschiedlichster Park- und Gartenanlagen auf - als Lesebuch der Gartenhistorie. Trotz Vernachlässigung ist die Lektüre dieses Reichtums noch möglich, dem über Jahrhunderte fortdauernden Willen jeder Zeit nicht nur mit Gebäuden, sondern auch mit Parks bleibenden Ausdruck zu verleihen. So entstand ein einmaliges Gesamtkunstwerk.

Den größten Anteil dieses Schatzes umfassen der Schlossgarten, die oberen, mittleren, unteren Anlagen. Darin zu finden sind Spuren des einst europäisch berühmten Lustgartens, barocker Parkanlagen in den oberen und mittleren Anlagen, von Empiregärten in den unteren Anlagen - überformt im 19. Jahrhundert von Elementen englischer Landschaftsparks, wieder überformt im 20. Jahrhundert durch die Gartenarchitekturen verschiedener Gartenschauen. Der Rosensteinpark des 19. Jahrhunderts ist der größte englische Landschaftspark Süddeutschlands, die Wilhelma schließlich ist stilistisch dem Historismus des 19. Jahrhunderts verpflichtet. Zeitlich die letzte Parkgründung - noch als königlicher Auftrag - ist der Park der Villa Berg. Dem damaligen Zeitgeist verpflichtet, zeigt er sich als eine fantastisch-fantasievolle Mixtur von Elementen des Barock, der italienischen Renaissance und der englischen Landschaftsarchitektur.

Obwohl die Bevölkerung der Stadt seither um über das Doppelte anwuchs, hielt man es nicht für erforderlich, neue öffentliche Parks und Gärten anzulegen. Im Gegenteil, die vorhandenen wurden reduziert, vernachlässigt. Städtebauliche und architektonische Missgriffe sind anzuprangern. Zu nennen sind etwa der Einbau von Landespavillon, Planetarium, Landtag, die Querspangen der Schiller- und Wolframstraße, die Verbreiterung der Cannstatter und der Neckarstraße sowie der Busbahnhof. Noch schlimmer erging es dem Park der Villa Berg. Bereits 1915 an die Stadt verkauft, erwarb ihn 1950 der heutige Südwestrundfunk. Einbauten des Rundfunks führten zu einer Reduzierung der Fläche von 24 Hektar auf 18 Hektar.

Vor jedem weiteren Eingriff in die Parks der Stadt Stuttgart ist also dies zu fragen: Was habt ihr aus euren innerstädtischen Parks und Gärten gemacht? Mit den Resten wird uns ein Spiegel vorgehalten. Sie sind Zeugnis der Haltung der Planer, der Architekten, der Politiker der vergangenen Jahr- zehnte. Und die Resultate lassen nur einen Schluss zu: Die Wertschätzung der Zeugnisse und ihrer Geschichtlichkeit muss abhandengekommen sein. Die historischen, stilistischen, charakteristischen Qualitäten der Parks und Gärten wurden vernachlässigt, diese Seiten des Lesebuchs der Stadt zerstört.

Nun stehen für den Park der Villa Berg die Privatisierung und Neustrukturierung durch Bebauung bevor. Vor diesem Hintergrund erinnern wir uns gerne an unseren einstigen Mitbürger Georg Friedrich Hegel. "Ist erst das Reich der Vorstellung revolutioniert", schrieb er, "so hält die Wirklichkeit nicht mehr stand." Man könnte es für unsere Zeit so übersetzen: Das Wissen um die Bedeutung der Parks und Gärten in und für Stuttgart - bis hin zu den vielfachen Einflüssen auf das Klima der Stadt - muss geweckt und geschärft werden.

Was ist zu tun? Zunächst müssen die Stuttgarter Park-Landschaften besser gepflegt, verloren gegangene Qualitäten wiederhergestellt werden. Die Betrachtung der Parks und Gärten als Baulandreserve muss der Achtung als Kulturgut ersten Ranges weichen. Zudem verlangt die demografische Entwicklung wie auch die verstärkte Entwicklung hin zur Freizeitgesellschaft ein größeres und qualifizierteres Angebot an innerstädtischen Erholungsflächen. Die Forderung nach mehr Wohnen in der Innenstadt kann nur Wirklichkeit werden, wenn mehr Lebens- und Aufenthaltsqualität angeboten wird, wenn die Defizite, die zur Stadtflucht führten, beseitigt werden. So geht es gerade um die Chance, die Parkanlagen höherer Qualität zuzuführen.

Die Villa Berg wurde vom Südwestrundfunk meistbietend veräußert. Nun besteht die Gefahr, dass der durch die Missachtung vergangener Jahrzehnte total verunstaltete Park durch privaten Wohnungsbau weiter an Qualität verliert. Gäbe es Alternativen? Das Beste wäre, die Stadt würde Gelände und Gebäude wieder erwerben, einschließlich der 1955/1965 von Rolf Gutbrod unsensibel in den Park gebauten SWR-Einrichtungen. Sie sollten beseitigt werden - und damit die Chance genutzt werden, dem Park zurückzugeben, was man ihm genommen hat. Es ginge darum, die räumlichen Bezüge zum Schloss Rosenstein, nach Bad Cannstatt sowie zur Innenstadt wiederherzustellen - und damit das übergeordnete Netz von Blick- und Erlebnisfluchten.

Die beklagte Flucht der Menschen aus der Stadt ist großenteils hausgemacht. Sie gingen im Umland ins Exil, da sie nicht mehr in der Stadt mit Schmutz, Enge, Lärm, ohne Grün und soziale Nachbarschaft wohnen wollten. Im Umland suchten sie Ruhe, Grün, saubere Luft und Nachbarschaft. Es ist auch eine emotionale Flucht. Die Umkehr der Stadtflucht, das Wohnen in der Stadt, kann man nicht herbeireden. Die Zukunft unserer Städte hängt entscheidend von der Zurückgewinnung der Attraktivität und Lebensqualität der Innenstädte für alle ab. An vorderster Stelle steht hierbei die Qualität der öffentlichen Räume, der Straßen, Plätze, Parks und Gärten.

Stuttgart muss sich wieder auf seinen Ursprung, auf seine in seinem Namen enthaltenen Verpflichtungen besinnen, seine vielbesungene Lage, seinen Schatz von Parks und Gärten. Die Kulturgeschichte der Stadt muss wieder entdeckt, erweckt werden. Die Diskussion um die Villa Berg und den sie umgebenden Park belegt die enormen Chancen, eine Park- und Bewusstseins- Landschaft herzustellen, die ihresgleichen sucht. Dies darf kein Traum bleiben.