Am Samstag beginnt die 62. Vierschanzentournee der Skispringer Foto: dpa

Die Entwicklung der deutschen Skispringer ist überaus positiv. Mit Blick auf die Vierschanzentournee sieht Olympiasieger Jens Weißflog dennoch ein kleines Manko.

Die Entwicklung der deutschen Skispringer ist überaus positiv. Mit Blick auf die Vierschanzentournee sieht Olympiasieger Jens Weißflog dennoch ein kleines Manko.

Herr Weißflog, erinnern Sie sich an den Jahreswechsel 1983/1984?
Aber natürlich, sehr gut sogar.
Kein Wunder, vor 30 Jahren haben Sie erstmals die Vierschanzentournee gewonnen . . .
. . . und beim Auftakt in Oberstdorf ging es schon richtig gut los. Ich bin Zweiter geworden, danach folgten drei Siege und Schanzenrekorde. Es war unglaublich, eine solche Serie hätte ich damals nie für möglich gehalten. Ehrlich gesagt war ich selbst überrascht, wie gut es damals lief.
Favoriten waren eigentlich andere.
Ja, Matti Nykänen war der erste Anwärter auf den Gesamtsieg. Ich hatte in der Saison davor zwar meinen ersten Sieg im Weltcup gefeiert und war Zweiter der Tournee geworden. Wie stark ich bin, wusste ich dann dennoch nicht so genau.
Wieso nicht?
Für uns Springer aus der DDR hatte der Weltcup damals nicht den ganz großen Stellenwert. Wir sind daher erst in Oberstdorf beim Tourneeauftakt eingestiegen. Entsprechend groß war die Ungewissheit.
Umso größer war die Begeisterung um Ihre Person nach dem Gesamtsieg, oder?
Puuh, damals sind Dinge passiert, die ich so zuvor überhaupt nicht gekannt hatte. Ich war auf einen Schlag unwahrscheinlich bekannt, es gab einen Empfang zu Hause in Oberwiesenthal, und nach dem Weltcup in Cortina noch die Springen in Liberec und Harrachov sowie die Thüringen-Tournee.
Ein Heimspiel sozusagen . . .
. . . und Sie glauben gar nicht, was da los war. Die Euphorie war unglaublich, man kann das vielleicht vergleichen mit der Begeisterung um Martin Schmitt und Sven Hannawald viele Jahre später. Ich muss sagen: In gewisser Weise hat mich das alles damals überrollt.
Zumal die Sportler seinerzeit noch nicht derart abgeschirmt waren wie heutzutage.
Das kann man wohl sagen. Zum Teil haben wir uns ja noch im Freien umgezogen, es gab nicht mal Zäune. Gab es doch eine Hütte, standen die Menschenmassen sofort da, wenn man aus der Tür kam. Eine ordentliche Vorbereitung auf die Sprünge war praktisch nicht mehr möglich.
Wann ebbte die Euphorie ab?
Erst mal gar nicht, weil im selben Jahr ja auch noch die Olympischen Spiele kamen und ich da auch noch Gold und Silber geholt habe.
Wie haben Sie es geschafft, sich dennoch immer wieder auf das Wesentliche, also das Skispringen, zu konzentrieren?
Das Gute ist: Wenn es sportlich läuft und man genug Selbstvertrauen hat, dann nimmt man das alles irgendwie auch gerne mit. Ich habe versucht, immer nur ans nächste Springen zu denken, das hat glücklicherweise geklappt.
Bei der Tournee müssen die Springer auch heute noch mit einem viel größeren Trubel als sonst zurechtkommen. Macht das die Schwierigkeit dieser legendären Serie aus?
Auf alle Fälle schafft dieses Mehr an Aufmerksamkeit auch eine Belastung für die Sportler, die das so nicht gewohnt sind. Allerdings kann man auch hergehen und sagen: Ich freue mich darauf. Wenn einen das alles aber stört, muss man Wege finden, dem ganzen Trubel zu entgehen.
Für die deutschen Springer ist das schwer möglich, zumal sie mittlerweile auch zum erweiterten Favoritenkreis gehören. Was halten Sie denn von der Entwicklung der vergangenen Jahre?
Sie ist auf alle Fälle sehr positiv, die Mannschaft ist stärker und stabiler geworden, sie ist breit aufgestellt. Schön ist auch, dass immer wieder jüngere Athleten nachgestoßen sind und sich dann auch im Weltcup-Team etabliert haben. Ich denke da vor allem an Andreas Wellinger, der nicht nach wenigen guten Ergebnissen wieder abgestürzt ist. Ich sehe aber auch ein Manko in dieser insgesamt tollen Entwicklung.
Welches denn?
Es kristallisiert sich kein einzelner Springer heraus, der regelmäßig ganz nach vorne springt. Die deutschen Athleten wechseln sich quasi ab mit den Topresultaten.
Für den Teamwettbewerb bei den Olympischen Spielen ist das eine gute Sache.
Stimmt, da muss man nicht zu den unverbesserlichen Optimisten gehören, um zu sagen: Der Gewinn einer Medaille ist absolut realistisch. Es gibt zwar auch andere starke Mannschaften, aber in der Summe stellt Deutschland derzeit das stabilste Team. Die Aktiven denken aber sicher auch an die Einzelmedaillen.
Und dann wäre es wiederum besser, es gäbe einen, der die anderen guten Springer im Team noch überragt?
Genau. Aber auch so waren die Voraussetzungen vor einem Großereignis für das deutsche Team schon mal schlechter. Weil es den anderen Mannschaften ja ähnlich geht. Den einen Überspringer gibt es derzeit nicht. Selbst Tournee-Titelverteidiger Gregor Schlierenzauer landet mal auf dem ersten, am nächsten Tag aber auf dem 16. Platz.
Woran liegt das?
Ich glaube, durch verschiedene Regeländerungen ist das ganze System der Springer anfälliger geworden.
Aber man wollte doch weniger abhängig von den Windbedingungen werden, etwa durch die engeren Anzüge.
Ja, aber es gibt mittlerweile eben ganz viele Stellschrauben, an denen gedreht werden kann, nehmen Sie nur mal die neue Bindung und die Schuhe. Das alles ist technisch unglaublich ausgereift, reagiert auf kleinere Veränderungen, zum Beispiel in Sachen Wind, aber eben auch sehr sensibel.
Die Windregel sollte Vor- und Nachteile ausgleichen . . .
. . . schafft es aber nur zum Teil.
Zurück zur Tournee. Ist die Karriere eines Skispringers eigentlich nur komplett, wenn er sich einmal den Gesamtsieg geschnappt hat?
Sie denken an Simon Ammann, oder?
Genau. Er hat vier olympische Goldmedaillen gewonnen, aber noch nie die Tournee.
Klar, die Tournee ist ein Meilenstein. Trotzdem würde ich seine bisherige Karriere nicht als unvollständig bezeichnen, da er ja auch noch Weltmeistertitel gewonnen hat. Und in seinen erfolgreichsten Jahren war er zum Zeitpunkt der Tournee einfach noch nicht in bester Verfassung.
Dabei hätte er doch die nötige Erfahrung.
Die nützt dir bei der langen Tournee aber nichts, wenn du nicht in Topform bist. Wobei es schon stimmt, dass man bei jeder Tourneeteilnahme auch Erfahrungen sammelt, die einem später helfen. Und wer weiß – vielleicht schafft es Simon Ammann ja ausgerechnet in diesem Jahr.
Sie haben die Tournee viermal gewonnen. Wie hoch war beim ersten Erfolg eigentlich das Preisgeld.
Es gab keines.
Keine müde Mark?
Nein. Es gab Sachpreise wie Kofferfernseher oder Radios, aber kein Geld. Dafür Pokale in rauen Mengen. Da hatte ich ganze Waschkörbe voll.