Pure Freude: Der Schweizer Skispringer Simon Ammann nach seinem Sieg in Oberstdorf Foto: Getty Images Europe

Wie ein kleiner Makel lastet der bislang fehlende Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee auf der ansonsten traumhaften Karriere von Simon Ammann. Nach seinem Sieg in Oberstdorf nimmt der Schweizer Skispringer einen erneuten Anlauf. Doch er weiß: „Es wird eine lange Reise.“

Oberstdorf - Er hatte einen Skirolli an, eine Softshell-Jacke, darüber noch seinen dicken Anorak, und im Pressezentrum in Oberstdorf war es nicht gerade kalt. Es war also kein Wunder, dass sich im Gesicht von Simon Ammann kleine glänzende Schweißperlen bildeten. Zumal er sich ja auch noch richtig anstrengen musste – um seine Emotionen im Zaum zu halten.

Ganz ruhig versuchte der Skispringer aus der Schweiz den vorangegangenen Tag zu analysieren, ganz sachlich über seine Gefühlsregungen zu sprechen. Was im Grunde gelang, doch so alle zwei, drei Minuten war es vorbei mit der Beherrschung – und Simon Ammann lachte schallend los. Um sich Sekunden später wieder selbst zur Vernunft zu rufen: „Jetzt muss ich meine Emotionen in den Griff bekommen.“

Rund zwei Stunden zuvor hatte Simon Ammann nicht nur das Auftaktspringen der Vierschanzentournee, die an diesem Dienstag (14 Uhr/ZDF und Eurosport) mit der Qualifikation in Garmisch fortgesetzt wird, gewonnen – sondern in seinen Augen noch viel mehr erreicht.

Zum einen bedeutete der Erfolg in Oberstdorf das Ende einer langen Durststrecke: Seit Januar 2011 war der 32-Jährige ohne Weltcup-Sieg geblieben. Zudem genießt er seit jeher die Atmosphäre am Fuße des Nebelhorns, weshalb er den Moment des Triumphs als „einen der schönsten meiner Weltcup-Karriere“ bezeichnete. Noch viel wichtiger aber war für den Schweizer die Bestätigung, die der Erfolg mit sich brachte – dass die jahrelange Arbeit zu den erhofften Ergebnissen führt. „Ich habe eine Wahnsinnsfreude in mir“, jubelte er – und blickte zufrieden zurück.

Vor drei Jahren, als sich das Skisprung-Reglement nicht unbedingt zu Ammanns Gunsten verändert hatte, war die Frage: Tut sich der Olympiasieger, der bereits vier Goldmedaillen zu Hause hängen hat, diese Umstellung noch einmal an? Und als diese Frage mit „Ja“ beantwortet war, kam die nächste auf: Packt Ammann es noch mal nach ganz vorn? „Wir haben 2011 einen Prozess gestartet“, erinnert sich Ammann, auf die Olympischen Spiele in Sotschi im kommenden Februar ist alles ausgerichtet.

Um die ständigen Rückenprobleme in den Griff zu bekommen, hat er das Krafttraining umgestellt. „Wir haben mehr an der Stabilität des Körpers gearbeitet“, sagt der Schweizer Coach Martin Künzle. Zugleich verlangte das Reglement mit den engeren Anzügen aber auch ein Mehr an Sprungkraft, weshalb es für Ammann galt, die bisher bekannten Grenzen im hohen Skispringer-Alter noch einmal zu verschieben. Das ist mühsam, machte für den Schweizer aber auch den Reiz aus. Er sagt: „Ich habe noch einmal ein großes Projekt gebraucht.“ Und einen starken Glauben an den eingeschlagenen Weg. Denn zwischendurch sah es so aus, als verlöre er den Anschluss.

„Eigentlich wollten wir in jedem Jahr gut sein“, sagt Künzle lächelnd, betont aber, dass die große Stärke in den vergangenen Jahren gewesen sei, die Ruhe zu bewahren. „Wenn etwas in die Hose ging, dann ging es halt in die Hose“, sagt der Coach, der nur wenige Monate älter ist als sein Schützling, „an unserem Prozess hat das nie etwas verändert.“ Und Ammanns Akribie und Ehrgeiz wurden dadurch nur noch größer – was die Zusammenarbeit zwischen Trainer und Athlet nicht immer reibungslos machte.

„Simons Perfektionismus ist groß“, sagt Künzle, „da gibt es auch schwierige Momente.“ Weil aber auch der Siegeswille des Olympiasiegers „enorm“ sei, bleibe er immer bei der Sache. „Simi weiß haargenau, was er macht und wie er was anpacken muss“, sagt der deutsche Skispringer Severin Freund. Dass all das nun zum vorläufigen Ziel geführt hat, löste am Sonntag eine schier unbändige Freude beim Schweizer Ausnahmespringer aus. „Dass ich noch einmal die Möglichkeit habe mitzumischen, ist fantastisch“, sagte Simon Ammann – und ertrug geduldig die Nachfrage, die ja kommen musste: Ob er denn den fehlenden Gesamtsieg bei der Tournee lieber hätte als eine weitere Goldmedaille bei Olympia?

Der Routinier lächelte milde und wunderte sich: „Bei solchen Fragen denke ich immer, man hätte die Wahl.“ Dann machte er eine kleine Pause und ergänzte: „Aber die hat man nicht.“ Was bedeutet: Er nimmt das, was er kriegen kann. „Jetzt ist es möglich“, sagte er über seine Erfolgsaussichten bei der 62. Auflage der Tournee, warnte aber: „Es wird eine lange Reise.“ Der Fokus des Formaufbaus liege ohnehin auf Sotschi, ergänzte Künzle und betonte: „Für Simi würde keine Welt zusammenbrechen, wenn er die Tournee nie gewinnen würde.“ Der Trainer weiß aber auch: „Schön wäre es schon.“ Und sicher wieder unglaublich emotional.