Probleme beim Absprung: Richard Freitag versucht beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen in die ideale Flughaltung zu kommen – am Ende wird er als bester Deutscher Neunter Foto: dpa

Sie hatten von Podiumsplätzen geträumt, sich sogar den Gesamtsieg zugetraut. Doch nach zwei Wettbewerben bei der Vierschanzentournee ist kein einziger deutscher Skispringer unter den besten zehn der Gesamtwertung zu finden. Das schmerzt.

Garmisch-Partenkirchen - Bundestrainer Werner Schuster traf Severin Freund, als dieser gerade ein Interview fürs Fernsehen gab. Im Vorbeigehen klopfte der Coach seinem Springer auf die Schulter. Auch wenn Platz zehn beim Neujahrsspringen der Vierschanzentournee in Garmisch-Partenkirchen wieder nicht das Ergebnis war, das sich die deutsche Mannschaft nach dem katastrophalen Auftakt in Oberstdorf erhofft hatte, so war der Auftritt wenigstens akzeptabel. „Top Ten ist okay“, urteilte Freund, „doch es ist noch Luft nach oben.“

Dies gilt vor allem für zwei Springer. „Als Team haben wir eine ordentliche Vorstellung abgeliefert“, sagte Schuster, „nur mit unseren Topleuten Severin Freund und Richard Freitag ist es wie verhext. Für sie ist deutlich mehr drin, auch das Podium – doch sie kriegen es nicht auf die Reihe.“ Wie beim Auftaktspringen fehlte den Deutschen auch auf der Olympiaschanze vor allem die Konstanz.

Beispiel Richard Freitag: Im ersten Durchgang verpasste der Sachse wieder den Absprung, landete schon nach 127 Metern und damit auf Platz 15. „Der Sprung hat mich angezupft“, sagte er. Im zweiten Versuch zeigte der 23-Jährige sein Potenzial, hatte erst nach 134,5 Metern wieder Schneekontakt. Der viertbeste Sprung der Konkurrenz brachte ihn noch auf Platz neun.

Beispiel Marinus Kraus: Von Platz neun aus startete er in den Finaldurchgang. Doch der Oberaudorfer kam nur auf 126,5 Meter und fiel auf Platz 13 zurück. „Das ist ärgerlich“, sagte Kraus (23), „ich hatte beim zweiten Sprung nicht mehr 100 Prozent in den Beinen.“ Dadurch fehlte ihm nach dem Absprung ein halber Meter Höhe und bei der Landung zehn Meter in der Weite. „Ich hätte Marinus gerne weiter vor mir gesehen“, sagte Freitag, „doch keiner von uns bekommt zwei gleich gute Sprünge hin. Es läuft uns momentan nicht rein.“

Da kann Coach Schuster nicht widersprechen. Seine beiden Vorzeigespringer Freitag und Freund („Das ist halt die Tournee und kein Kasperle-Springen“) hatten bisher erst einen guten Sprung. Dabei mangelt es ihnen nicht an Selbstbewusstsein. „Wir haben’s drin“, sagte Freitag trotzig. Michael Neumayer, der als 23. ebenfalls unzufrieden war, versuchte die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu erklären: „Die Weltspitze ist so eng, dass jeder noch so kleine Fehler bestraft wird.“

Dabei geht es gar nicht immer eng zu. Überraschungssieger Anders Jacobsen aus Norwegen hatte beinahe fünf Meter Vorsprung auf Simon Ammann (Schweiz). Die Österreicher Stefan Kraft und Michael Hayböck, die beiden Erstplatzierten von Oberstdorf, belegten nur die Plätze sechs und sieben, Kraft führt die Gesamtwertung dennoch weiterhin an.

Gesprochen wurde in Garmisch aber vor allem über Jacobsen. Im Winter 2006/2007 hatte er die Tournee gewonnen. Nach einer schöpferischen Pause 2011 führte der Norweger vor zwei Jahren nach zwei Siegen die Gesamtwertung an. Doch dann wurde Jacobsen (29) in den folgenden beiden Springen von Gregor Schlierenzauer noch übertroffen. Nach einer Knieoperation im vergangenen Frühjahr hat sich Jacobsen mühsam in die Weltspitze zurückgekämpft, sogar an Weihnachten trainierte er: „Ich wusste, dass ich es drin habe.“ Nach der Qualifikation dominierte er mit Sprüngen von 135,5 und 136,5 Metern auch im Wettkampf.

Einen Siegspringer wünscht sich auch Bundestrainer Schuster, der sich mit Prognosen mittlerweile zurückhält. Zu tief sitzt immer noch die Enttäuschung über das „desaströse Ergebnis“ (Schuster) von Oberstdorf, die auch nach dem Neujahrsspringen nicht verflogen ist. Der Coach fürchtet eine unkontrollierte Trotzreaktion. „Mit ‚Jetzt erst recht‘ muss man aufpassen“, warnte er, „das kann wieder zu Verkrampfung führen.“

Schuster attestierte seinen Springern zumindest Kampfgeist. „Sie geben alles. Für den Alltagsgebrauch reicht es ja auch“, meinte er mit Blick auf die guten Leistungen im Weltcup. Nun hofft er in Innsbruck am Sonntag und in Bischofshofen (6. Januar) auf den Tournee-Durchbruch. „Wir müssen die Emotionen hochhalten, um zwei Topsprünge in einem Wettkampf hinzubekommen“, formulierte Schuster den Anspruch.

Dieses Ziel hat sich für Andreas Wank erübrigt. Der Team-Olympiasieger flog aus der siebenköpfigen Weltcup-Mannschaft und musste schon zur Tournee-Halbzeit die Heimreise antreten. „Sein Olympia-Bonus ist aufgebraucht“, sagte Schuster. Für Wank gab es nicht mal mehr einen Schulterklopfer.

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