Auf den Flugkünsten von Karl Geiger ruhen die deutschen Hoffnungen. Foto: AFP/Fabrice Coffrini

Der Oberstdorfer ist der neue Vorflieger der deutschen Skispringer – und vor dem Auftakt der Vierschanzentournee beim Heimspiel gespannt auf sich selbst.

Oberstdorf - Karl Geiger ist keiner, der zu Superlativen neigt. Erfolge werden bei ihm nicht gleich zu Triumphen, Enttäuschungen nicht zu Tragödien. Der Skispringer zieht seine Stärke auch aus der ihm eigenen Gelassenheit, dem Gefühl, das Richtige zu tun, seinem inneren Gleichgewicht. Auch vor schwierigen Herausforderungen. „Ich bin ganz entspannt“, sagt Geiger (26) vor dem Auftakt der Vierschanzentournee an diesem Sonntag (17.30 Uhr/ARD, Eurosport) in Oberstdorf, „die Leute werden hinter mir stehen, auch wenn ich verkacken sollte.“

Das mag schon sein, schließlich kommt Geiger aus Oberstdorf. Hier kennt er jeden Winkel und jeden Weg, Winter für Winter stand er als Kind an der Schanze, als die Weltbesten dort sprangen. Die Unterstützung von 27 000 Fans ist ihm sicher. Und trotzdem wird diesmal einiges anders sein. Unbekanntes Terrain. Denn erstmals startet der Lokalmatador als Nummer eins des deutschen Skisprung-Teams in die Vierschanzentournee. Der neue Vorflieger tut dies voller Selbstvertrauen, weil die vergangenen Wochen prächtig gelaufen sind – er sagt aber auch: „Jetzt bin ich selbst gespannt.“

Derzeit Dritter im Gesamtweltcup

Das liegt daran, dass ein Skispringer sich nie zu sicher sein darf. Was gestern noch richtig war, kann morgen schon wieder falsch sein. An kaum einem anderen Ort liegen Höhenflüge und Abstürze so nahe beieinander wie auf der Schanze. Karl Geiger war in den bisherigen sieben Wettbewerben in dieser Saison immer bester Deutscher und nie schlechter als Rang sieben, er liegt im Gesamtweltcup auf dem starken dritten Platz. „Darüber bin ich mega glücklich“, sagt er, „aber es gibt keine Garantie, dass es so weiter gehen wird. In unserem Sport muss man sich das Körpergefühl immer wieder neu erarbeiten.“ Erst recht auf der Schattenbergschanze in Oberstdorf.

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In der Heimat lief es für Karl Geiger noch nie richtig rund. Zuletzt belegte er bei den Auftaktspringen der Tournee die Plätze zwölf, 17, 27 und 26, auch deshalb war er am Ende der vier Springen in Bischofshofen noch nie besser als Gesamt-Elfter. Das wäre eine Position, über die Karl Geiger sich diesmal nicht sonderlich freuen würde. Denn die Erwartungen sind gestiegen – natürlich auch seine eigenen.

Geiger blickt auf famose Saison zurück

Der Oberstdorfer hat eine famose Saison hinter sich. Er gewann nicht nur seine beiden ersten Weltcupspringen, sondern sicherte sich zudem bei der Weltmeisterschaft 2019 Silber auf der Großschanze in Innsbruck, dazu gab es Mannschafts-Gold und einen weiteren Titel mit dem Mixed-Team auf der kleineren Anlage in Seefeld. Es passt zur Geschichte von Geiger, dass er selbst danach noch im Schatten eines anderen stand, weil sein extrovertierter Zimmerkollege Markus Eisenbichler bei dieser WM sensationell Triple-Gold holte. Passend ist allerdings auch, dass es anschließend nur Geiger gelang, sein hohes Niveau zu halten. „Er ruht in sich, ist den Weg der kleinen Schritte gegangen“, sagt der frühere Superstar und heutige TV-Experte Martin Schmitt, eines der Vorbilder von Karl Geiger, „jetzt ist er in der absoluten Weltspitze angekommen.“

Aber noch nicht am Ziel.

Obwohl der Student der Energie- und Umwelttechnik schon seit sieben Jahren im Weltcup mitmischt, ist seine Entwicklung längst nicht abgeschlossen. Er lebt von seiner enormen Absprungenergie und der daraus folgenden Flughöhe, zudem besitzt er die Fähigkeiten, auch mit schwierigsten Verhältnissen zurechtzukommen. Und dennoch sieht der neue Bundestrainer Stefan Horngacher Steigerungspotenzial. Gearbeitet wurde zuletzt vor allem an der Anfahrtshocke, der Streckbewegung beim Absprung und der Fluggeschwindigkeit. „Es ging bei ihm darum, das Trainingsniveau zu erhöhen, da waren im Sommer noch einige schwächere Sprünge dabei“, sagt Horngacher, „im Herbst hat er dann schon einige Sprünge gemacht, die ihn auf das nächste Level heben würden.“ Das Problem: Noch ist es Karl Geiger nicht gelungen, diese Leistung zu stabilisieren, was ihm nach Ansicht des Bundestrainers aber schon bald gelingen könnte. „Ich habe die Hoffnung, dass er jetzt bei der Tournee die Sprünge zeigen kann, die er wirklich drauf hat.“

Alle warten auf den Durchbruch

Es ist ist ein Satz, der beweist, dass nicht nur Geiger hohe Ansprüche hat. Sondern auch sein Umfeld. Zugleich weiß Horngacher, was seinem neuen Vorspringer noch fehlt – eben diese Konstanz auf allerhöchstem Niveau. Nicht zuletzt deshalb hat der Oberstdorfer in diesem Winter noch kein Springen gewonnen, und auch deshalb sagt der neue Coach der deutschen Adler: „Favoriten bei der Vierschanzentournee sind andere.“

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Es ist keine ganz schlechte Ausgangsposition. Gelassenheit hat im Skispringen schließlich noch keinem geschadet.