Die bunt gestalteten Wände waren einst das auffälligste Merkmal. Foto: Fritzsche

Spricht man von einer denkmalgeschützten Siedlung am Killesberg, ist meistens die Weißenhofsiedlung gemeint. Doch ebenso preiswürdig und nach dem Neuen Bauen gestaltet ist die nicht weit entfernt liegende Siedlung am Viergiebelweg.

S-Nord - Wer von einer denkmalgeschützten Siedlung mit preiswürdiger Architektur in der Nähe des Killesbergs spricht, der meint meistens die Weißenhofsiedlung. Viel weniger bekannt ist die Siedlung am Viergiebelweg, die nur wenige Schritte entfernt liegt. Entstanden ist sie in den Jahren 1922 bis 1926, also noch vor der Weißenhofsiedlung – die wurde 1927 errichtet. Christoph Schindelin von der Unteren Denkmalschutzbehörde sagt: „Die Siedlung trägt Merkmale des Neuen Bauens und ist ein früher Vertreter von ganz neuen Ideen.“

Hugo Keuerleber und Richard Döcker heißen die beiden Architekten, die die Siedlung konzipiert haben. Keuerleber (1883 bis 1949) war ebenso wie Döcker (1894 bis 1968) Absolvent der Technischen Hochschule Stuttgart, beide kehrten als Professoren dorthin zurück. Richard Döcker war nicht nur der Assistent von Paul Bonatz, sondern ab 1927 als Bauleiter auch an der Weißenhofsiedlung beteiligt.

Die Häuser sind auf Äußerste reduziert

Bauherr der Viergiebelsiedlung war der Heimstättenbauverein öffentlich-rechtlicher Beamter. Nach dem ersten Weltkrieg herrschte große Wohnungsnot in Stuttgart, auch wegen vieler Flüchtlinge, und Neubauten wurden dringend gebraucht. „1919 hatte Stuttgart 296 000 Einwohner, 1925 waren es schon 342 000 Einwohner“, erklärt Schindelin. Und so hielten Keuerleber und Döcker die Ausführung der Einzel- und Mehrfamilienhäuser am Viergiebelweg und an der Birkenwaldstraße möglichst einfach: „Die Häuser sind aufs Äußerste reduziert, ohne Dekor“, erklärt Christoph Schindelin. Die Lage der 23 Gebäude folgt der Topografie am Hang abseits der Birkenwaldstraße.

Etwas Besonderes ist das Farbkonzept, das Richard Döcker entwickelt hat: Ursprünglich waren alle Häuser in bunten Farben gestrichen, jede Wand eines Hauses in einer anderen Farbe. „Je nach Himmelsrichtung wurde eine andere Farbfamilie verwendet“, erklärt Schindelin. „Auf der Schattenseite der Häuser wurden eher die kühle Farben genommen, auf der Sonnenseite die warmen Farben.“ Innerhalb einer Farbfamilie gab es verschiedene Abstufungen von Gelb an den Hauswänden.

Vom Farbkonzept ist in der denkmalgeschützten Siedlung aber nicht mehr viel übrig: Vom Heimstättenbauverein gingen die Häuser der Siedlung nach einiger Zeit an das Land Baden-Württemberg über, und ab den 1970er Jahren wurden sie nach und nach an ihre Bewohner verkauft. Heute sind sie alle in Privatbesitz.

Einige Besitzer lassen sanieren

Denkmalgeschützt sind zudem nicht alle Häuser in der Siedlung, einige sind durch Umbauten oder Kriegsschäden unwiderruflich verändert, ein großes Mehrfamilienhaus wurde sogar abgerissen, bevor der Denkmalschutz in Kraft trat. Seit einigen Jahren ist die Untere Denkmalschutzbehörde im Stadtplanungsamt wieder in der Viergiebelsiedlung aktiv: „Nach und nach renovieren einige Besitzer ihre Häuser, und dabei sind wir beratend tätig“, erklärt Christoph Schindelin.

Die Renovierungen sei Anlass für eine restauratorische Untersuchung, bei der auch an der Fassade überprüft werde, welche Farbe der ursprüngliche Putz einmal hatte. Zusätzlich werden bestehende Unterlagen und Papiere zu Rate gezogen, außerdem Aufzeichnungen von Bewohnerbefragungen. „Die haben unsere Vorgänger im Stadtplanungsamt in den 1990er Jahren durchgeführt, und dabei notiert, was die Bewohner über ihr Haus wussten“, erklärt Schindelin.

Der Stuttgarter Architekt Herbert Hummel hat mit seinem gleichnamigen Büro die Sanierung und Wiederherstellung eines der Häuser übernommen. „Um das Haus wieder in den Ursprungszustand zu versetzen, mussten wir die ganze Siedlung recherchieren“, erzählt er. Gemeinsam mit einer Kunsthistorikerin hat er im Stuttgarter Archiv nachgeforscht, sowie in den Architekturmuseen in Frankfurt und Berlin. Die Fenster mussten nach dem Vorbild eines erhaltenen Fensters speziell angefertigt werden, so wie auch die gusseisernen Türknäufe. Gerade die Fassadenfarben seien dabei nicht einfach gewesen: „Die Farben sind sehr fein abgestuft, es ist nicht irgendein Rot“, so Hummel.

Christoph Schindelin betont: „Es geht nicht darum, was uns als Denkmalpfleger gefällt, sondern darum, die Gebäude wieder in den schützenswerten Originalzustand zu bringen, der aus Überlieferungen und Funden belegt ist.“ Sechs Häuser der Viergiebelsiedlung sind nun saniert. „Bei Siedlungen wie dieser braucht man den längsten Atem“, erklärt Schindelin. „Bis alle Häuser von den Eigentümern saniert worden sind, kann es Jahre dauern.“ Richard Döcker hat zur Viergiebelsiedlung einmal geschrieben: „Ein Haus kann nicht ohne das andere bestehen, sie sind als Teil eines Ganzen erst zu begreifen.“